Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
schaute schon vor der Antwort schuldbewusst drein.
«Aber nein.» Jutta trat näher und tätschelte der Henkersfrau den Arm. Allerdings achtete sie darauf, dass sie nicht mit der Haut, sondern nur mit dem Kleiderstoff der Frau in Berührung kam. «Nein, es ist alles in Ordnung. Jede ordentliche Hausfrau schiebt am Samstag einen Kuchen ins Backrohr. Der Eure hatte nur so von einem Eurer Kuchen geschwärmt. Er sagte, Ihr hättet ihn mit Kokosfett gebacken. Und er war sich nicht sicher, ob es diesen Kuchen am letzten Wochenende gab.»
Die Henkerin lächelte geschmeichelt und warf ihrem mürrischen Mann einen verliebten Blick zu. «Es war letzten Samstag. Der Meine hatte Namenstag. Deshalb habe ich seinen Lieblingskuchen gebacken.»
«Das ist recht von Euch, Ihr seid ein braves Weib», mischte sich jetzt auch noch der Richter in das Gespräch. «Doch sprecht, woher hattet Ihr das Kokosfett?»
Der Blick der Henkersfrau huschte von einem zum anderen. «Von einem reisenden Händler», flüsterte sie, als hätte sie ein Unrecht begangen. «Kurz vor dem Stadttor habe ich ihn getroffen.» Ihre Stimme wurde noch leiser. «Ich habe ihm allerdings verschwiegen, dass ich das Henkersweib bin.»
«Das ist ein lässliches Vergehen», urteilte Richter Blettner. «Wenn es denn überhaupt eines ist. Schließlich ist die Henkerei auch nur ein Beruf. Und dieser Reisende, er hat Euch etwas von dem Fett verkauft?»
Die Henkersfrau nickte. «Er hatte es von einem Händler zu Schiff, der in Frankfurt Station gemacht hat. Aus dem Französischen sei der Händler gewesen, hat er erzählt. Mir war’s gleich, ich wollte nur das Fett.» Sie hob den Finger. «Und im Übrigen war ich nicht die Einzige, die noch vor dem Tor bei ihm gekauft hat.»
Der Richter winkte ab. «Solche Verstöße bearbeitet unser Schreiber. Für unseren Fall ist das unwichtig. Der fahrende Händler hat gegen geltendes Recht verstoßen, Ihr dagegen nicht.»
Er sah sich nach seiner Frau um und rieb sich die Hände. «Und wir beide sollten jetzt auch nach Hause gehen und den Sonntag genießen. So ein Schläfchen nach dem Mittag wird uns guttun.» Er wünschte allseits einen angenehmen Tag, dann nahm er Hella am Arm und verließ das Henkersgrundstück. Gustelies und Jutta folgten Arm in Arm, während der Leichenbeschauer den Weg zum Frauenhaus einschlug.
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Kapitel 16
A m Abend trafen sich Heinz und Hella, Gustelies und Jutta Hinterer in der Küche des Pfarrhauses.
Hella hatte gerötete Wangen, ihre Augen glänzten so frisch wie der Morgentau. Auch Heinz machte einen entspannten, wachen Eindruck.
Gustelies’ Gesicht dagegen sah aus wie ein drei Tage alter Fischbauch. Blässlich grau und mit dunklen Ringen unter den Augen. Auch Jutta Hinterer war die Anspannung des Tages anzusehen.
«Was hast du von Onkel Bernhard gehört?», fragte Hella gleich als Erstes ihre Mutter.
Gustelies winkte traurig ab, und Hella hatte den Eindruck, dass Tränen in ihren Augen glitzerten. «Er singt nicht mehr.»
«Was?»
«Unser Pater singt nicht mehr. Er isst kaum, und er spricht nicht. Auf mich hat er fast schon gewirkt wie einer, der des Lebens müde ist.»
«Ach, was!» Jutta wedelte die trüben Gedanken mit der Hand fort. «Das kann ich mir nicht vorstellen. Er erlebt gerade Ungeheuerliches. Kein Mensch kann sich da normal verhalten.»
Leise fragte Hella: «Und wenn er aber doch Schuld auf sich geladen hat und diese nun nicht tragen kann?»
«Niemand glaubt im Ernst, dass unser Pater den Frauen etwas angetan hat. Wir haben ja noch nicht einmal die Leiche, die zu dem anderen Skalp gehört. Von dem Zopf will ich gar nicht erst anfangen.» Heinz schüttelte den Kopf. «Du bist seine Nichte, kennst ihn vom ersten Tag deiner Geburt. Wie kommst du nur auf den Gedanken, er könnte etwas mit diesen … diesen Dingen zu tun haben?»
«Natürlich glaube ich nicht, dass mein Onkel Unrecht verübt hat. Aber manchmal kann das Gewissen auch so drücken, dass das Leben plötzlich grau wird.»
Jutta beugte sich nach vorn. «Du meinst, er weiß mehr, als er uns sagt?»
Hella nickte. «Gibt es denn keine Möglichkeit, ihn aus dem Verlies dort zu holen?»
Heinz seufzte. «Ich glaube nicht. Sogar dem Schultheiß sind die Hände gebunden. Der Rat ist drauf und dran, Frankfurt zu einer lutherischen Stadt zu machen. Gegen den Kaiser, gegen den Erzbischof von Mainz. Ein katholischer Pater, der sich schuldig gemacht hat und im Verlies hockt, könnte dem Rat von großem Nutzen
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