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Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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zuckte mit den Achseln. «Mir scheint, das ist das Wesen von Politik. Ein jeder sucht seinen persönlichen Vorteil und verkauft diesen Vorteil dann als Vorteil für die gesamte Bevölkerung.»
    Heinz war stolz auf diesen Satz, aber Hella nickte nur abwesend und stocherte in ihrem Essen herum.
    Nach dem Mahl begab sich Heinz wieder ins Amt, sorgte aber zuvor dafür, dass Hella sich ein wenig ins Bett legte.
    Und da lag sie, den Kopf voller Schreckensbilder von Pater Nau. Sie kämpfte mit den Tränen, betete zur Jungfrau Maria. Hella konnte sich nicht erinnern, jemals so traurig gewesen zu sein. Pater Nau und Gustelies, das war doch ihre Familie! Das waren die Menschen, ohne die sich für Hella das Leben nicht lohnte. Wie sollte es sein, ohne Pater Naus ständige Nörgeleien über Gustelies’ Essen? Was geschah mit Bruder Göck, wenn er seinen liebsten Diskussionsgegner verlor? Wer sollte den Wein aus Dellenhofen trinken? Und, vor allem, wer taufte Hellas Kind? Wer erzählte ihm von Gott? Wer erklärte ihm, was gut und böse war?
    Hella war eine erwachsene Frau. Doch jetzt spürte sie, wie sehr sie die Ihren noch benötigte. Nein, Pater Nau durfte nicht sterben!
    Die Tränen stürzten wie Frühlingsregen über ihre Wangen, ihre Schultern bebten, ja, der Kummer schüttelte ihren ganzen Leib.
    Lange weinte sie. So lange, bis sie ganz erschöpft war und, das nasse Gesicht ins Kissen gepresst, endlich einschlief.
    Sie träumte, und als sie erwachte, wusste sie nicht mehr, was sie geträumt hatte, aber sie wusste, wie sie Pater Nau retten konnte.
    Hella stand auf, wusch sich das Gesicht, schlüpfte in das Magdkleid, die groben Strümpfe und die Holzpantinen. Sie nahm den schäbigen Umhang der Magd, wand sich ungeschickt das grobe Tuch um Hals und Kinn und lauschte an der Tür auf die Geräusche aus der Küche.
    Als sie sicher war, dass die Magd unten im Keller war, schlüpfte sie aus ihrem Schlafzimmer, schlich auf Strümpfen, die Pantinen in der Hand, die Stiege hinab und verließ das Haus, ohne jemandem zu sagen, wohin sie ging.
    Sie huschte die Gassen entlang bis in die Nähe des Verlieses. Dort wurde sie langsamer, lief jetzt mit hängenden Schultern, als drückte der Kummer sie nieder. Ab und an blieb sie stehen, legte beide Hände auf ihren hochgewölbten Leib und drückte das Kreuz durch. Verstohlen sah sie sich dabei nach allen Seiten um. Und allmählich wurde ihr bewusst, was sie geträumt hatte.
    Es waren die beiden Schwangeren, die sie im Schlaf vor sich gesehen hatte. Die Seifensieder-Lilo und die Fremde aus dem Wald. Auch sie waren hier gewesen. Die eine, die Lilo, auf dem Wege zurück vom Stadttor. Gerade eben hatte sie dort erfahren, dass ihr Liebster tot war. Sie traute sich nicht zurück ins Seifensiederhaus. Der Schwiegermutter wollte sie den unsäglichen Kummer ersparen. Und sie selbst war ganz trostlos. Alles um sie herum erschien grau. Eine graue Masse, die ihr den Atem nahm, die alles, was einst schön und farbig gewesen war, unter sich begrub. Lilo wünschte sich tot. Dann würde sie bei ihrem Liebsten sein. Gemeinsam mit dem Kind unter ihrem Herzen. Im Paradies, hatte Pater Nau stets gesagt, seien alle glücklich. Und Lilo sah sich mit dem Liebsten und dem Kind auf einer grünen Wiese unter einem Apfelbaum. Der Liebste lag mit dem Kopf in ihrem Schoß, das Kind spielte zu ihren Füßen. Alles war bunt und schön, und Lilos Sehnsucht nach dieser Apfelbaumwiese war unendlich groß. Und als der Mann kam, der aussah wie ein Allerweltsmann, da ging sie mit ihm mit, weil ihr ganz gleichgültig war, wohin sie ging, und weil sie nicht zurückkonnte ins Seifensiederhaus, wo die Mutter weinen würde und der Vater verstummen. Sie ging einfach mit und fühlte sich, als wäre sie schon auf dem Weg zur Apfelbaumwiese.
    Hella erschauerte, als sie an diesen Traum dachte. So muss es gewesen sein, dachte sie. Der Allerweltsmann musste der Teufel sein. Gott hatte jeden Menschen einmalig geschaffen. Nur diesen Mann nicht, der einem gleichzeitig so vertraut und fremd erschien. So gewöhnlich, so unscheinbar, nein, so konnte nur der Teufel sein.
    Sie blieb stehen, lehnte sich an eine Mauer, tat, als ob ihr schlecht wäre.
    Die Frauen, die mit vollen Körben vom Markt zurückkamen, blieben nicht stehen. Keine von ihnen fragte, ob sie helfen könnte, dafür trafen sie verächtliche, strafende Blicke, die mehr sagten als jedes Wort: Jetzt steht sie da, das lose Mädchen, das seine Tugend ins Heu geworfen hat. Schande über

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