Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
Schreibtisch näher, und der Schultheiß schrak zurück, presste seinen Rücken hilfesuchend gegen die Stuhllehne. «So? Weibergeschwätz! Dann will ich Euch sagen, dass die Hälfte der Frankfurter Weiber sind. Und die meisten Männer – und damit sind sie gut beraten – tun, was ihre Weiber sagen. Wollt Ihr Euch die stärkere Hälfte der Stadt zum Feind machen?»
Krafft von Elckershausen ließ die Schultern hängen. Gustelies wusste, dass sie im Augenblick nicht mehr erreichen konnte. «Ich komme morgen wieder, Schultheiß. Sprecht mit Eurem Weib. Sie ist eine kluge Frau.»
Krafft von Elckershausen war so mitgenommen, dass er einfach nickte. «Geht Ihr jetzt?», fragte er hoffnungsvoll.
«Wenn Ihr mir versprecht, mit der Euren zu reden?»
«Das tue ich.»
«Dann seid Ihr mich los. Aber nur bis morgen.»
Sie wandte sich um und verließ hocherhobenen Hauptes die Amtsstube eines gänzlich verunsicherten Zweiten Bürgermeisters von Frankfurt.
«Was hast du erreicht?»
In Blettners Arbeitszimmer war Hella unterdessen erregt auf und ab gegangen. Jetzt stand sie vor ihrer Mutter und trat von einem Bein auf das andere. «Jetzt rede schon!»
«Erreicht habe ich noch gar nichts. Der Schultheiß wird nachdenken. Ich bin sicher, er fällt morgen die einzig richtige Entscheidung.»
«Aber was geschieht, wenn er nicht die richtige Entscheidung fällt? Unser Pater hält nicht mehr lange durch!»
Gustelies’ Mundwinkel zuckten. Hella und sie starrten einander einen Augenblick wortlos an. Dann schob Gustelies ihre Tochter beiseite. «Er wird das Richtige tun. Immerhin ist er verheiratet», sagte sie. «Und jetzt gehen wir zu Jutta, um ein neues Kleid für dich zu finden. Du siehst wirklich grauenvoll aus.»
Blettner tippte mit dem Finger gegen das Töpfchen mit der roten Lattwerch. «Ja, geht nur. Ich werde mal zu einigen Apothekern gehen. Vielleicht können sie mir etwas hierzu sagen. Ach, und Bruder Göck werde ich auch besuchen.»
Wenig später verabschiedeten sich die drei vor dem Rathaus. Gustelies zog ihre Tochter über den Römer zur Geldwechslerstube von Jutta Hinterer.
Die schaute aus ihrer Holzbude und wollte sich totlachen. «Hella, du schaust so wunderbar aus, dass ich dir am liebsten auf der Stelle einen Besen in die Hand drücken würde.»
«Lach nicht», brummte Hella. «Ich sehe aus wie ein Fass, und ich fühle mich auch so. Es macht keinen Spaß, von jedem Bürger angerempelt und beschimpft zu werden, nur weil man für eine Magd gehalten wird.» Sie sah nachdenklich ins Weite. «Es ist wirklich eigenartig, wie schnell sich der Wert eines Menschen ändert. Und wie wenig es braucht, um abfällig behandelt zu werden.»
«Was meinst du?», fragte Gustelies.
«Seitdem ich aussehe wie eine Magd, behandeln mich die Leute, als wäre ich unsichtbar. Es sei denn, sie beschimpfen mich. Und der Wärter im Verlies hat unseren Pater vorhin sogar mit ‹Eh, du da!› angerufen.»
Jutta lachte. «Das ist neu für dich? Dann weißt du wirklich noch nicht viel vom Leben. Die Menschen beurteilen zuerst, was sie sehen. Was sollen sie auch anderes tun? Die innere Schönheit des Einzelnen, die Güte und Frömmigkeit oder die Bosheit und Häme stehen einem ja nicht ins Antlitz geschrieben. Also urteilen sie nach der Kleidung, nach den Worten.»
«Aber …», Hella sah hilflos drein. «Das ist doch nicht richtig. Jeder Mensch hat einen Wert, oder nicht?»
«Hella, übe Nachsicht. Die Leute sind nicht böse. Sie haben Erfahrungen, haben Verhaltensweisen eingeübt. Und eine Magd gilt eben weniger als eine Bürgersfrau.»
«Ich habe mich doch aber gar nicht verändert», warf Hella ein. «Ich bin dieselbe geblieben. Die, die sonst von allen höflich gegrüßt wird, der man den Weg freimacht.»
«Sie meinen nicht dich, mein Kind», erklärte Gustelies. «Die Höflichkeiten gelten nicht dir, sondern deinem Status als Richtersfrau. Und die Unhöflichkeiten gelten dir ebenso wenig, sondern deinem vermeintlichen Magdstand.»
Hella schüttelte den Kopf. «Als ob die Menschen einen unterschiedlichen Wert haben. Dabei steht doch in der Bibel: Vor Gott sind alle gleich.»
«Vor Gott schon, aber nicht vor der gemeinen Hausfrau», erwiderte Gustelies, und Jutta nickte. Dann holte sie für Hella einen Schemel. «Setz dich hin, du bist ganz blass. Was immer du heute getan hast, es hat dich zu sehr angestrengt. Denk an dein Kind. In ein paar Wochen will es seinen Kopf in die Welt stecken.»
Widerspruchslos ließ sich
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