Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
schon energisch mit ihrer Schulter dagegen, schlüpfte an Minerva vorbei und ließ sich aufatmend in den Lehnstuhl sinken.
Minerva stand vor ihr, auf der Schürze frische Flecken, die Hände noch nass und fragte belustigt: «Was ist denn los? Ist die Jungbrunnensalbe alle und du frisch verliebt?»
«Wenn’s das wäre, wäre ich nicht so gerannt.» Sie griff nach den nassen Händen der Kräuterfrau. «Minerva, ich muss dich etwas fragen. Woraus besteht die Salbe?»
«Das sagte ich doch bereits. Aus dem ersten Monatsblut junger Mädchen.»
«Und woher hast du das Blut?»
Minerva wand sich. «Das kann ich dir doch nicht sagen, das musst du schon verstehen. Wenn ich jedem meine Geheimnisse verriete, so wäre ich bald ohne Arbeit.»
Jutta schüttelte ungeduldig den Kopf. «Ich werde gewiss nicht in meinem Haus mit dem Blut junger Menschen herumkochen. Ich will nur wissen, woher du es hast.»
Minerva entwand sich dem Griff und rieb sich die Handgelenke. «Wozu nur? Hat dir die Salbe nicht geholfen?»
Ihr Blick flackerte bei diesen Worten, ihre Nasenflügel bebten, und Jutta erkannte, dass Minerva ein wenig Angst hatte.
«Du weißt von den toten Frauen, oder? Zumindest von der, die man am Main gefunden hat, der man das Kind aus dem Bauch geschnitten hat, oder?»
Minerva schüttelte energisch den Kopf. «Ich lebe in der Vorstadt, komme nie heraus. Solche Dinge erfährt man hier nicht.»
«O doch, meine Liebe!» Jutta war wieder zu Atem gekommen. Sie trat so dicht an Minerva heran, dass sie deren Wimpern zittern sehen konnte. «Du weißt genau, wovon ich spreche. Du selbst hast nämlich ihr Leichenwasser und ihr Leichenfett von der Henkerin gekauft.»
Minerva wich einen Schritt zurück, und Jutta folgte ihr. Noch einen Schritt ging Minerva weiter, und Jutta folgte ihr, bis die Kräuterfrau schließlich mit dem Rücken an der Katenwand stand.
«Rede», herrschte Jutta sie an.
Minerva zuckte zusammen, schlug die Hände vor das Gesicht.
«Woher ist das Blut?», donnerte Jutta.
«Ich … ich bekomme es ganz aus der Nähe.»
«Von wo genau?»
Minervas Stimme war kaum zu verstehen. «Mein Vater, er ist ein Gelehrter, der sich der Forschung verschrieben hat. Der berühmte Paracelsus war sein Lehrer. Seit Jahren schon versucht er, ein Mittel gegen die Franzosenkrankheit zu finden. Oh, er hatte schon einige Erfolge. Aber das eine Mittel, welches allen hilft, war nicht dabei.»
«Und wie kommt dein Vater an das Blut der unschuldigen Mädchen?»
«Nicht er. Ihn kümmert so etwas nicht, er geht ganz in seinen Forschungen auf. Ein junger Mann, sein Gehilfe, bringt es mir.»
Jutta verlor allmählich die Geduld. «Und woher hat er es? Junge Mädchen lassen sich nicht melken wie Kühe auf der Weide.»
Minerva begann zu weinen. «Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.» Sie schluchzte so sehr, dass Jutta laut aufseufzte, sie beim Arm packte und zu dem Lehnstuhl führte.
«Wieso weißt du das nicht?», fragte sie. «Du musst doch wissen, woher der Mann das Zeug hat.»
Minerva schüttelte den Kopf. «Ich habe ihn nicht gefragt.»
«Du hast was nicht? Du hast ihn nicht gefragt, woher das Blut stammt?»
Das Kräuterweib schüttelte den Kopf.
«Warum nicht?»
Minerva sah sie an, die Augen voller Tränen. «Ich wollte es nicht wissen», flüsterte sie. «Ja, ich hatte sogar Angst zu fragen.»
Jutta riss die Augen auf und ließ sich in den anderen Lehnstuhl fallen. «Aber du hättest fragen müssen! Du bist eine Heilerin, die Leute vertrauen dir.»
«Ach ja?», schrie Minerva. «Tun sie das? Vertrauen sie einer, die in der Vorstadt lebt, die keinen Bürgerbrief hat und keinen Ehemann? O nein, das tun sie nicht! Sie kommen und tun freundlich, wenn sie etwas von mir wollen. Ansonsten würdigen sie mich keines Blickes. Ja, sie erwidern nicht einmal meinen Gruß, wenn sie mich in der Stadt sehen. Sie blicken über mich hinweg, als wäre ich Ungeziefer. Nein, sie vertrauen mir nicht. Sie brauchen mich. Meine Kräuter, mein Wissen, meine Geheimnisse. Das ist es. Sie kommen, um etwas zu erleben, um etwas Anrüchiges zu tun in ihrem ansonsten langweiligen Leben. Du solltest sie hören, solltest ihre Fragen, ihre Wünsche hören. Es kann ihnen gar nicht grausam genug sein. Sie fragen nach den Hoden von Gehenkten, nach seinem letzten Erguss. Vom Mutterkuchen einer Gebärenden wollen sie ein Stück. Noch warm hätten sie es am liebsten. Ihre Zähne wollen sie hineinschlagen, damit auch sie ein Kind bekommen. Sie gieren
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