Die Verbrechen von Frankfurt. Totenreich
dreinfügen müssen. Dem Zunftmeister der Weber, einem Evangelischen, der natürlich bei der bevorstehenden Ratstagung eine Stimme hatte, war die Lust am Streiten vergangen. Blettner war sich nicht einmal sicher, ob er aus Scham und Reue letztendlich nicht für die Katholischen stimmen würde. Aber das war jetzt einerlei. Wichtig war, dass die Altgläubigen im Augenblick einen moralischen Vorsprung vor den Neugläubigen hatten. Das konnte für Pater Nau nur von Vorteil sein.
Heinz Blettner freute sich schon den halben Tag darauf, die Gesichter seiner Frau und seiner Schwiegermutter zu sehen.
Doch er sorgte sich um den Pater. Als er den Weber ins Verlies begleitet hatte, war er auch bei Bernhard Nau gewesen. Und
der hatte auf seinem Strohlager gesessen, hatte mit den Erbsen aus seiner Suppe wie mit Kinderleckereien um sich geworfen
und Narrenlieder wie zur Fastnacht angestimmt.
Blettner hatte nach dem Medicus schicken wollen, doch der Wärter hatte abgewinkt. «Lasst den Mann singen, so lange er lustig ist. Ein bisschen Gesang hat noch niemandem geschadet. Wenn es ihm wirklich schlechtgeht, dann zitiert er aus der Bibel und hält Predigten. Und zwar stundenlang. Das ist ein Grund, nach dem Stadtarzt zu schicken, aber nicht sein Gesang.»
«Meint Ihr nicht, dass er halluziniert?», hatte Heinz gefragt, der wusste, dass gute Laune bei Pater Nau ein Grund zu ernster Sorge war. «Dass das Fieber so hoch gestiegen ist und seine Sinne verwirrt hat?»
«Die meisten Leute ändern sich im Verlies, wisst Ihr?», erklärte der Wärter. «Das hier ist für viele ein Ort, an dem sie ihre Sterblichkeit spüren. Die meisten wollen plötzlich noch Dinge nachholen, die sie im Leben versäumt haben, und es kann sehr gut sein, dass der Pater hier sich immer schon heimlich gewünscht hat, an der Fastnacht einmal nicht als Pater teilzunehmen.»
Heinz Blettner bezweifelte die Deutung des Wärters stark. Er hätte, wenn er des Paters heimliche Wünsche hätte erraten müssen, eher auf ein Bad in einem Fass vom guten Dellenhofener getippt. Aber wer kannte sich schon wirklich mit den geheimen Wünschen der Menschen aus? Er sicher nicht – er hatte ja schon Schwierigkeiten, seine Gattin zu verstehen.
«Ich werde morgen wieder nach ihm schauen», sagte er dem Wärter. «Wenn sich was an seinem Zustand ändert, dann schickt jemanden ins Pfarrhaus.»
Der Wärter nickte sehr langsam und streckte dem Richter dabei seinen offenen Handteller entgegen. Blettner seufzte, klaubte einen halben Gulden aus seiner Geldkatze – bedauerlicherweise hatte er kein Kleingeld mehr.
«Für die Summe, Herr, schicke ich sogar jemanden zum Liebfrauenberg, wenn der Pater nur nach dem Nachttopf brüllt.»
Blettner zog die Augenbrauen hoch.
«Das war ein Scherz.» Der Wärter, der bemerkte, dass er sich im Ton vergriffen hatte, wurde rot und sah auf den Boden.
«Dann bis morgen», donnerte Blettner mit seiner Amtsstimme. «Und dass mir keine Klagen kommen.»
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Kapitel 31
G ustelies kochte. Und das zweifach. Zum einen hatte sie einen kräftigen Eintopf auf dem Herd stehen, aus dem dicke Lammfleischstücke ragten, zum anderen war sie noch immer wütend, weil es ihr nicht gelungen war, den Pater aus dem Verlies zu holen. Und die Aufklärung der Morde ging ihres Erachtens auch viel zu schleppend voran. Sie hatte es nicht ausgesprochen, aber sie hatte Angst um Hella. Eine Heidenangst sogar, seit sie im Magdkostüm durch die Gegend lief.
Sie, Gustelies, würde heute darauf drängen, dass Heinz tätig wurde. Als Erstes würde sie damit drohen, morgen zum Schultheiß zu gehen und sich ihm als Austauschgefangene für Pater Nau anzubieten. Jutta Hinterer und Pater Göck sollten sie begleiten, um Krafft von Elckershausen gehörig unter Druck zu setzen.
Dann hatte sie tatsächlich vor, ihrer eigenen Tochter ein kleines Mittelchen in den Lammtopf zu tun, damit diese für die nächsten Tage mit Unwohlsein sicher und behütet in ihrem Bett blieb. Gustelies blieb stehen, hielt den Kochlöffel kerzengerade nach oben. Nein! Wie konnte sie nur so gedankenlos sein! Sie durfte Hella doch nichts geben, was dem Kind in ihrem Bauch schadete. Sie brauchte etwas anderes, etwas, das sich auf die Haut schlug, etwas, das Pickel machte und Hella zeitweise ein wenig entstellte. Nun ja, wenigstens so viel, dass sie von der Straße wegblieb.
Gustelies überlegte. Am besten wäre es, wenn Hella sich ekelte. Schon als Kind hatte sie davon ein Geschwür
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