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Die Verdammten der Taiga

Die Verdammten der Taiga

Titel: Die Verdammten der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Dach klapperte, und dann war nur noch ein Heulen da, ein schauerliches Gekreische, als zögen tausend streitende Weiber sich gegenseitig an den Haaren durch die Taiga. Schnee fiel in ungeheuren Massen auf den Wald, zerbrach die stolzen Bäume, amputierte Äste, türmte sich zu Mauern an den Stämmen empor und drang trotz aller Moosausstopferei durch die Balkenritzen in das Haus hinein.
    Putkin, Andreas und Morotzkij hatten alle Hände voll zu tun, diese Ritzen auszufüllen, während Nadeshna und die Susskaja die Pfützen wegwischten, die sich sofort bildeten, wenn der eingedrungene Schnee in dem überhitzten Raum schmolz. Außerdem lief das Wasser von den Wänden, als seien sie berieselt … die Feuchtigkeit, die der Sturm mit ungeheurer Wucht hineindrückte, war nicht mehr zu besiegen.
    »Lassen wir's verdampfen«, sagte Putkin, der für alles seine dummen Bemerkungen bereit hielt. »Dann haben wir ein Dampfbad, können nackt herumsitzen, schwitzen uns die unheiligen Gedanken aus den Poren und singen fromme Lieder.«
    »Er will sich nur wieder zeigen, der haarige Hengst!« sagte Morotzkij. »Muskeln sind nicht alles, Igor Fillipowitsch.«
    Die Luft lud sich langsam wieder auf mit Hochspannung. Drei Wochen zusammen mit Putkin, gefangen in einem Raum, beraubt aller Möglichkeit, auch nur für eine Stunde seinem Anblick und seiner stets redenden Schnauze zu entrinnen, das zehrte an den Nerven. Nicht nur Morotzkij litt darunter, selbst Andreas, für den Putkin eine seltsame Sympathie entwickelt hatte und den er ›mein Söhnchen‹ oder ›lieber kleiner Idiot‹ nannte, sah mit Schrecken den Tag kommen, an dem man sich mit Wonne gegenseitig die Schädel einschlug.
    Draußen tobte der Sturm, brach der Himmel auf und schüttete Schneeberge über das Land, nur das Eis des Flusses war immer blankgefegt; hier spielte der Wind Schlittschuhlaufen und vertrieb alles, was auf die bläulich leuchtende Decke herabrieselte.
    Am meisten von allen klagte Morotzkij, saß am Fenster, das man mit einem Fell vernagelt hatte, nachdem man drei Lagen Bretter davorgehämmert hatte, rannte dann wieder unruhig hin und her und rang die knochigen Hände.
    »Maruta –«, jammerte er. »Wie wird es Maruta gehen? Steht da schutzlos in ihrem Pferch, und der Sturm wirft sie vielleicht zu Boden, sie bricht sich ein Bein oder gar den Hals. Und wie sie hungert, wie sie hungert …«
    »Sie ist fett gefüttert wie eine Sau!« brüllte Putkin. »Maruta! Maruta! Zum Teufel, warum muß ich mit Menschen leben, denen man das Hirn ausgeblasen hat? Eine Elchkuh ist kein Verhaltensforscher … die friert sich keinen Schwanz ab!«
    »Sie hat ein zartes Gemüt!« schrie Morotzkij zurück.
    »Was hat sie?« fragte Putkin dumpf. »Wiederholen Sie das langsam, Semjon Pawlowitsch. Eine Elchkuh hat ein zartes Gemüt?«
    »Maruta ist ein sehr sensibles Tier. Klug, gelehrig, aber ungeheuer empfindsam. Ihr Instinkt ist mit einigen primitiven Denkvorgängen gepaart … aber das ist es ja, was sie von anderen Elchen abhebt. Hätte sie sich sonst so schnell uns angeschlossen? Wäre sie sonst – von der Herde abgesprengt – zu uns, den Menschen, gekommen?«
    »Das nennt er ein Wunder, was, der Hohlkopf?« rief Putkin. »Das Vieh hat noch nie einen Menschen gesehen, das ist es! Lebt hier wie im Paradies und denkt, wir seien auch solche lieben Gotteskinder. Aber wer uns einmal gesehen hat, der verzichtet auf weitere Bekanntschaft. Was Sie Intelligenz nennen, Morotzkij, ist Ahnungslosigkeit.«
    »Igor Fillipowitsch hat recht«, mischte sich die Susskaja ein. Sie saß am Tisch und putzte ihr chirurgisches Besteck, nachdem sie es in einem Kessel mit sprudelndem Wasser ausgekocht hatte. Sie tat das jede Woche, wie ein Soldat sein Gewehr putzt, legte dann alle Instrumente nebeneinander, blickte stumm über das Blitzen und Glitzern, das die verchromten Scheren, Pinzetten, Klemmen und Haken ausstrahlten, und war wie versunken in Gedanken. Dachte sie an das Krankenhaus, an den Operationssaal, an die Zimmer mit den Patienten, an diese weiße, saubere Welt, aus der sie weggelaufen war, um Andrej zu lieben?
    Putkin, der sie bei einer solchen Gedankenreise einmal unterbrach, erlebte verblüfft und machtlos, wie die Susskaja explodieren konnte. Er fragte ganz höflich: »Jekaterina Alexandrowna, so in Gedanken? Erinnern sich wohl an den Tag, an dem Sie einen lieben Genossen entmannt haben?« Und sie sprang auf, wie vom Stuhl abgeschossen, hieb ihm die Faust auf die Nase, die gerade

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