Die Verdammten der Taiga
Windbruch.
»Eine Gesellschaft, zu faul zum Scheißen!« hatte Putkin in seiner groben Art gesagt. »Aber wenn ich hier herauskomme … ich gehe in die Amtsstuben, das sage ich euch, Genossen, spucke den Beamten ins Gesicht und pinkele ihnen über die Akten! Und eine Beschwerde werde ich loslassen, eine Beschwerde bis Moskau! Die sollen sich wundern!«
Am dritten Tag meinte Morotzkij, Motorenlärm zu hören, aber er hörte immer etwas, was die anderen nicht hörten – daran hatte man sich auch gewöhnt. Man lauschte ein paar Sekunden und hämmerte, bohrte und klopfte dann weiter an dem Wagen. Und doch hatte Morotzkij recht. Seit drei Tagen suchte man sie, mit Hubschraubern von Wiljuisk aus, und was der Wind herüberwehte, war tatsächlich Motorenlärm und nicht das Knurren eines unterdrückten Furzes, wie Putkin ärgerlich zu Morotzkij sagte. Nur suchte man weit entfernt von ihnen, auf der Linie, die Benerian hätte fliegen müssen. Daß er abgekommen war vom Weg – wer wußte das?
»Wie nennen wir den Wagen?« fragte Andreas jetzt.
»Nadjesda, Nadjesda ist das russische Wort für Hoffnung«, sagte Nadeshna Iwanowna.
»Nicht Jesus Christus?« brüllte Putkin.
In diesem Augenblick nahm man ihm das nicht übel, nein, man lachte sogar darüber. Irgendwie waren sie alle in diesen drei Tagen anders geworden, hatten sich gewandelt und waren einander ähnlicher geworden. Vor ihnen lagen 600 oder 1.000 Werst unbekannte Taiga, vor ihnen lag – wenn sie keine Jäger trafen – möglicherweise ein Winter von sieben Monaten, wenn er hart wurde, auch neun Monaten. Es war alles möglich in der Taiga, und der Mensch mußte sich allem klaglos beugen.
»Nadjesda!« rief Putkin und warf die Flasche gegen den Karren. Sie zerbrach, und der rosa Muskateller floß an dem Kistenbrett herunter und tropfte in den Waldboden. Plötzlich waren sie alle still und sehr ernst … es sah aus, als blute der Wagen und ihr Weg beginne mit einer Spur aus Blut …
»Es ist knapp drei Uhr –«, sagte Andreas. Man hatte im Armaturenbrett eine noch unversehrte, nicht elektrisch, sondern auf Federwerk laufende Uhr gefunden – ein Rätsel, wieso sie dort eingebaut war – und hatte sie herausmontiert. Morotzkij trug sie an einem Strick um den Hals wie ein großes Medaillon und pflegte sie mit Hingabe. »Sollen wir noch losziehen?«
»Natürlich!« Putkin spuckte in die Hände. »Beladen und nach Süden! Jeder Meter ist ein Stück Freiheit. Freunde, ich gestehe, daß ich glücklich bin.«
Sie beluden den Karren mit den ausgewählten Dingen, vor allem den Konserven, Werkzeugen, Decken, zwei Zeltplanen und einigen Flugzeugblechen, aus denen man später – wie Andreas erklärte – allerlei Dinge formen konnte, vor allem ein Ofenrohr. Ganz oben, auf zwei umgeklappten Flugzeugsitzen, legte man den unverändert verrückten Benerian und band ihn fest, damit er nicht wegrutschte.
»Fertig!« sagte die Susskaja. Sie blickte sich zu den Flugzeugtrümmern und dem Aschenhaufen des Lagerfeuers um. »Wer zum Abschied weinen will, soll's jetzt tun.«
»Ich brauche meine Körperfeuchtigkeit zum Schmieren der Muskeln«, sagte Putkin. Er spannte sich in die breiten Zugschlaufen, die sie aus den Sitzgurten genäht hatten, und winkte Andreas und Morotzkij zu. »Los, ihr Zugochsen, ins Geschirr! Die Dämchen drücken hinten. Blut und Schweiß … daraus ist Rußland erbaut worden, und damit laufen wir jetzt unserem Leben nach –«
Andreas und Morotzkij warfen die anderen Schlaufen um ihre Schultern, Nadeshna und Jekaterina Alexandrowna stemmten sich gegen die Rückwand des Wagens. Obenauf begann Benerian wieder sein schauriges »Rajetschka! Rajetschka!« zu brüllen, als wolle er damit Tempo und Rhythmus angeben wie früher die Sklavenantreiber auf den Galeeren.
»Ziehet an!« rief Putkin. »Ziehet aaan …«
Der alte Ruf der Flußschlepper. Ins Mark dringend und dort sich einbrennend.
»Ziiie-het aaan –«
Putkin, Andreas und Morotzkij legten sich in die breiten Leinenschlaufen. Sie stemmten die Beine in den Boden, ihre Oberkörper schwebten fast waagerecht im Geschirr. Irgendwo in dem Wagen knirschte es laut, es konnte aber auch Benerian sein, der begonnen hatte, mit den Zähnen zu klappern wie eine kastilische Tänzerin mit ihren Kastagnetten.
Der Karren bewegte sich, die dicken Gummireifen drehten sich, der mörderische Zug ließ nach. Man konnte aufrechter gehen und ziehen. Von hinten hörten sie Nadeshnas Stimme.
»Mein Gott, wir kommen
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