Die Verdammten der Taiga
Nadeshnas Wegzug rasierte er sich nur mit größtem Widerwillen oder nur, wenn ihn Katja beschimpfte.
»Wann fliegen wir, Andrej?« fragte er.
»Im Herbst. Amalja muß erst etwas kräftiger werden.«
»Drei erwachsene Menschen und ein Kind. Das ist eine schöne Last. Bekommen wir genug Gold mit?«
»Was heißt genug?«
»Für jeden von uns eine Million. Das sind vier Millionen in Goldkörnern.«
»Unmöglich. Igor, das ist eine leichte Aufklärungsmaschine, kein Transporter.«
»Dann war alles umsonst?«
»Ein paar Hunderttausend sind auch schön, Igor.«
»Ein Bettelbrot für den reichsten Mann Rußlands! Andrej … laß uns nicht weiterdenken …«
Er ging wieder weg, blieb an dem Flugzeug stehen, klopfte gegen die Kanzel und stapfte dann weiter. Andreas blickte ihm nachdenklich nach. »Putkin!« rief er dann. »Noch eine Feststellung: Den Anlasserschlüssel habe ich in der Tasche. Begrab die Gedanken, die du gerade hattest …«
Ohne Antwort verschwand Putkin in seinem Haus.
An diesem Abend – nach einem Tag glutheißer Sonne – badete Putkin im Fluß. Er prustete wie ein Nilpferd, tauchte und planschte und wollte gerade versuchen, gegen die Strömung zu schwimmen, als aus dem Wald ein großer, fahlgelber, völlig mit Staub überzogener Körper sich herausschob und im Baumschatten stehenblieb. Putkin sah ihn zufällig, schwamm mit gewaltigen Stößen an Land und kletterte ans Ufer. Das Wesen löste sich aus dem Schatten, bekam vier kräftige Beine, einen dicken Kopf mit langen Ohren und hängenden Lefzen.
Durch Putkins Kopf zuckte das Erkennen wie ein Blitz. »Maruta!« brüllte er auf. »Es ist Maruta! Maruta!«
Er rannte auf die Elchkuh zu, mit ausgebreiteten Armen, als stürze er einer Geliebten entgegen, aber als er vor Maruta stand, begriff er erst, daß sie allein war, daß sie zurückgekommen war ohne Morotzkij und ohne Nadeshna. Der Sattel hing zerfetzt auf ihrem Rücken, im Nacken schwärte eine eitrige Wunde, auf der sich Schwärme von schwarzen Fliegen klumpten.
»Maruta –«, stammelte Putkin. »Wo kommst du denn her? Wie siehst du denn aus? Maruta!« Er drückte den dicken, staubigen Kopf an seine nasse Brust und spürte, wie alles an ihm bebte. »Was ist denn geschehen? Was willst du hier? Warum kannst du nicht sprechen? Warum bist du nur ein stummes Vieh? Wo ist Nadeshna? Maruta, wo ist meine Nadeshna?«
Er drückte den Kopf wieder an sich, blickte über den Rücken der Elchkuh und sah deutlich unter dem Staub große, eingetrocknete, dunkle Flecken. Blut!
»Wo ist Nadeshna?« schrie Putkin. Er klammerte sich an Maruta fest, und es war das erste Mal in seinem Leben, daß seine Beine schwach wurden und einknickten. »Nadeshna! Nadeshna! Was haben sie mit dir gemacht, Nadeshna …?«
Und er lehnte sich an die Elchkuh, triefend vor Nässe, und wischte mit der rechten Hand den Staub vom Sattel, weichte den Blutfleck auf und taumelte dann, die rote Handfläche von sich haltend, hinüber zu Andrejs Hütte. Maruta folgte ihm wie ein zahmes Hündchen und trottete in den offenen Pferch.
»Nadeshna!« schrie Igor Fillipowitsch noch einmal und stürzte dann mit seiner blutigen Hand ins Haus.
Putkin war nicht mehr zu beruhigen. Es war unmöglich, ihm einzureden, das Blut am Sattel könne eine ganz harmlose Erklärung haben, vielleicht sogar Marutas Blut, denn die Wunde in ihrem Nacken …
»Ja, die Wunde!« schrie Putkin und rannte mit seiner blutbefleckten Hand herum, roch an ihr, als könne er aus dem Blut Nadeshnas weiblichen Geruch herausschnuppern, hielt die Handfläche vor sich her wie eine Handikone und grunzte böse, als die Susskaja mit Wasser kam, um sie abzuwaschen. »Woher hat sie die Wunde, he? Sieh sie dir genau an, Katja, du bist doch Ärztin! Hat man so eine Wunde, wenn man sich das Fell abschabt? Hinterläßt ein Bremsenstich solch eine Wirkung? Sieh nach, sag ich dir, geh! Das ist Nadeshnas Blut! Nadeshnas Blut!«
Er ließ sich auf die Ofenbank fallen, stierte vor sich hin, die Hand von sich wegstreckend, und knirschte schauerlich mit den Zähnen.
Katja Alexandrowna ging hinaus zu der Elchkuh. Sie trottete im Pferch herum, offensichtlich völlig glücklich, blies mit einem leisen Trompetenton durch die Nüstern und kam sofort an die schiefen Zaunlatten, als sie die Susskaja bemerkte. Andreas blieb in der Hütte zurück. Es war jetzt zu gefährlich, Putkin allein zu lassen. Ein Mann in solchem Zustand, selbst wenn er ein Kerl wie Putkin ist, verirrt sich in die
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