Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
wegen irgendwas sauer auf mich? Stimmt irgendetwas nicht?«
»Alles in Ordnung«, antwortete Lucy, aber ihr Tonfall strafte sie Lügen.
»Komm schon, Luce, ich erkenne immer, wenn dich was beschäftigt. Spuck’s schon aus.«
Lucy malte mit ihrem Zeigefinger in die Erde: Kreise und Achten. »Es gibt nichts auszuspucken.«
Maddy seufzte. »Ist es wegen Grace?«
Lucy hörte für einen Moment zu malen auf, schnaubte und setzte die Bewegungen dann fort, diesmal aggressiver. »Nein.«
Ein Lächeln huschte über Maddys Gesicht. »Ist es wohl. Magst du sie nicht? Sie ist wirklich ein liebes Mädchen. Du würdest sie auch mögen, wenn du dir nur die Zeit nimmst, sie kennenzulernen.«
Schweigen. Dann: »Warum muss sie bei uns schlafen? Sie gehört nicht zur Familie. Ich brauch nicht noch eine Schwester.«
Maddy musste bei diesem Thema sehr vorsichtig vorgehen. Ein falsches Wort, und Lucy haute höchstwahrscheinlich sofort ab oder regte sich noch mehr auf, als sie es ohnehin bereits tat. »Ich weiß, dass sie nicht zur Familie gehört. Aber sie hat keine mehr. Sie ist ganz allein. Sie hat Angst. Du kannst dir doch bestimmt vorstellen, wie sie sich fühlt, oder?«
Grace half Fran bei der Arbeit im Café. Es war Frans Idee gewesen. Sie hielt es für wichtig, dass alle mit sämtlichen Aufgaben auf dem Gelände vertraut gemacht wurden. Maddy stimmte ihr zu, und sie war froh, dass Grace heute etwas anderes zu tun bekam – obwohl sie bemerkt hatte, dass Grace überhaupt keinen Widerstand geleistet hatte. Sie schien sich darüber zu freuen, dass sie mit Fran anstatt mit Maddy gehen konnte.
Ich bin heute wirklich Miss Populär, dachte Maddy in einem Anflug von Galgenhumor.
»Ich schätze schon«, erwiderte Lucy, die noch immer Achten in den Dreck malte.
»Ich hab dich trotzdem noch lieb, du Dummerchen. Du wirst immer meine kleine Schwester bleiben. Es ist nur … Grace hat gestern meine Aufmerksamkeit gebraucht, und das tut sie immer noch. Sie hat eine Menge durchgemacht und so viel verloren. Sie braucht Liebe und Zuwendung. Verstehst du das?«
Lucy nickte widerwillig.
»Gut. Und es wäre wirklich eine große Hilfe, wenn ihr beiden auch Freundinnen sein könntet. Sie braucht Freunde in ihrem Alter. Kannst du wenigstens versuchen, mit ihr klarzukommen?«
Lucy hörte mit dem Malen auf. Sie wischte sich den schmutzigen Finger an ihrem T-Shirt ab, sah hoch und lächelte. »Ich schätze, ich kannʼs mal versuchen. Sie scheint ja wirklich ganz nett zu sein. Still, aber nett.«
»Braves Mädchen.«
»Wusstest du, dass ihre Mum einfach abgehauen ist, kurz, nachdem der Dschungel gewachsen ist? Ich glaube, sie ist durchgeknallt. Hat all die plötzlichen Veränderungen nicht verkraftet und Grace einfach allein gelassen. Grace hat keine Ahnung, was mit ihrer Mum passiert ist und ob sie noch lebt.«
»Wann hat sie dir das erzählt?«
»Heute Morgen, als wir auf dich gewartet haben.«
Maddy schüttelte den Kopf. Armes Mädchen. Sie ist wirklich durch die Hölle gegangen.
»Was ist mit ihrem Dad? Hat sie ihn auch erwähnt?«
»Nee. Ich glaube, sie hat gar keinen.«
Maddy dachte daran, wie hart es gewesen war, in dieser schrecklichen Welt zu überleben, und dass sie es ohne Mum und ihre Schwester niemals geschafft hätte. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, ganz allein in dieser Welt zu leben.
Ich kann nicht glauben, dass Grace so lange durchgehalten hat. Sechs Monate ganz allein, und trotzdem hat sie es irgendwie geschafft, durchzukommen.
»Weißt du, sie war wirklich durcheinander, als sie heute Morgen aufgewacht ist und du nicht da gewesen bist. Du hättest mal sehen sollen, wie sie sich aufgeführt hat. Sie hat geweint. Sie dachte, du seist tot oder so.«
In Maddys Innerem herrschte ohnehin bereits das reinste Chaos, und all das zu hören, fühlte sich an, als ob sie jemand erschoss, nachdem sie bereits ertrunken war.
Maddy wollte sich später noch einmal mit Grace unterhalten, sich erneut entschuldigen und versuchen, zwischen ihnen alles ins Lot zu bringen. Sie wollte, dass Grace sich hier sicher fühlte.
»Komm, machen wir weiter. Je schneller wir sind, desto früher können wir aufhören.«
Sie waren gerade wieder losgekrabbelt, als Bill rief: »Frank, es kommt jemand!«
Maddy hielt inne und sprang auf.
Sie drehte ihren Kopf sofort in Richtung des Vordereingangs, und durch die Lücken zwischen den Blättern konnte sie sehen, dass Frank bereits aufgesprungen war und zur Glastür hinausstarrte, wobei er
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