Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
einem eisernen Sicherheitstor blieb er stehen und lugte ins Innere. Er konnte nicht allzu viel erkennen. Abgesehen von der dichten Vegetation war es stockdunkel. Ben bewegte sich mit entschlossenen Schritten vorwärts und betrat die Kirche.
Er fand sich in der Vorhalle wieder, und durch einen Torbogen konnte er das lange, schmale Innere mit seinen hohen Decken und aufwendig gestalteten Fensterscheiben sehen.
Die Geräusche wurden jetzt deutlicher: Nagen, Kauen und Schlürfen.
Er ging ein paar Schritte weiter ins Kirchenschiff.
Im Gegensatz zu vielen anderen Gebäuden, die er kannte, war dieses hier fast völlig erhalten geblieben. Innerhalb seiner Mauern waren weder Bäume aus dem Boden geschossen noch das Dach eingestürzt, und auch die Wände bröckelten nicht ab. In dem höhlenartigen Innenraum wuchsen nur hier und da ein paar Farne und andere Pflanzen. Mit Sicherheit das am wenigsten zerstörte Gebäude, das er bislang gesehen hatte. Während er sich auf die Quelle der Geräusche zubewegte, fragte er sich, ob die Tatsache, dass es sich um einen heiligen Ort handelte, etwas damit zu tun hatte, dass er sich nicht in eine Ruine verwandelt hatte. Ob Gott dafür sorgte, dass all seine Kirchen von der Wut der Neuen Welt verschont blieben?
Aufgrund der dichten Dschungelvegetation draußen sowie der Tatsache, dass das Dach und die Wände kaum Löcher aufwiesen, wirkte es im Inneren ziemlich finster. Nur durch die lang gestreckten Fenster fiel ein wenig Licht herein, und im düsteren Schein konnte Ben etwa in der Mitte der Kirche zwei Gestalten erkennen. Sie saßen im ehemaligen Mittelgang auf dem Boden und beugten sich über drei Leichen.
Aasfresser.
Die beiden Männer trugen dreckige, zerfetzte Lumpen. Aber das war es nicht, was diese beiden Skelette als Angehörige der niedersten Art dieser Neuen Welt entlarvte: Sie machten einen furchtbar nervösen Eindruck und blickten ständig auf, um zu sehen, ob ihnen möglicherweise Gefahr drohte, während sie an den Überresten der Leichen nagten. Wie bei den meisten Aasfressern schien auch ihr Gehör nicht das beste zu sein, ebenso wenig wie ihr Geruchssinn. Ben befand sich keine 15 Meter von ihnen entfernt, aber sie schienen nicht einmal zu ahnen, dass sich noch jemand im Gebäude aufhielt.
Ihre Gesichter waren blass und hager, ihre Haarschöpfe dreckig und fettig, ihre Münder blutverschmiert. Sie knieten über den Köpfen der Leichen und Ben konnte den süßen, fleischigen Duft von menschlichem Hirn riechen.
Ben fühlte sich müde, alles tat ihm weh, und obwohl er sich normalerweise selbstbewusst zugetraut hätte, wenigstens einen der Aasfresser zu fangen, war er sich da heute nicht so sicher. Vorsichtig näherte er sich den fressenden Männern.
Er hielt seine Klaue fest umklammert und beugte sich ganz tief nach unten, bereit zum Angriff. Einen Moment, bevor er zuschlagen wollte, riss einer der Aasfresser den Kopf hoch.
»Löwe!«, brüllte er.
Auch der zweite Aasfresser schaute auf, seine eingesunkenen Augen weiteten sich, und dann stoben die beiden auseinander.
Ben hielt seinen Blick auf den ersten Mann gerichtet und rannte ihm nach. Seine Rippen schmerzten, als er sich bewegte, und anstatt auf seine Beute zu springen und sie zu Boden zu reißen, wie er es normalerweise getan hätte, schlug er mit seiner Klaue zu. Die scharfe Bärenklaue erwischte den Aasfresser seitlich am Kopf und riss einen Teil seiner rechten Wange und seines Ohrs ab.
Der Mann jaulte auf und geriet ins Stolpern. Ben rechnete fest damit, ihn zu schnappen.
Aber der Aasfresser stürzte nicht. Stattdessen schlug er einen Haken, und Ben, der diese Richtungsänderung nicht erwartet hatte, rannte weiter. Als er endlich anhalten und umdrehen konnte, hatte der verwundete Aasfresser die Tür beinahe erreicht. Er hielt sich die rechte Seite seines Körpers, die blutüberströmt war.
»Verdammt«, knurrte Ben. Er rannte auf den Eingang der Kirche zu, aber er kam zu spät.
Draußen im gleißenden Tageslicht schaute er den beiden Aasfressern nach, die im Dschungel verschwanden.
Ben stieß ein wütendes Brüllen aus. Seine Frustration schien im gesamten sonnendurchfluteten Wald widerzuhallen.
Er ging in die Kirche zurück und hätte sich am liebsten zu einer Kugel zusammengerollt und für immer versteckt.
Ich kann noch nicht mal einen lausigen Aasfresser fangen. Was für ein Löwe bin ich denn? Ich dürfte mich eigentlich gar nicht mehr als Löwe bezeichnen – nicht mal als Junglöwe, verflucht.
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