Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
Gefangene?«
»Ich habe nie behauptet, dass wir beide Gefangene gewesen sind. Ich schon, aber Graham war ein Löwe. Der zweithöchste in der Rangfolge.«
Nick blinzelte verwirrt. »Graham war ein Löwe? Willst du mich verarschen?«
»Ich schätze, wir haben vergessen, das zu erwähnen, was?«
»Äh, ja, ich schätze, das habt ihr.«
»Graham hatte Gefallen an mir gefunden. Ich glaube, er hat sich in mich verliebt oder sich an seine Tochter erinnert gefühlt – ich weiß es nicht, und ich habe auch nie mit ihm darüber gesprochen. Alles, was ich weiß, ist, dass er mich immer gut behandelte, sogar, wenn er Sex mit mir hatte. Ich glaube, er wusste, dass er aufgrund seines Alters nicht mehr lange durchhält. Früher oder später hätten die anderen ihn als Schwächling betrachtet und einer der jüngeren Löwen hätte ihn umgebracht. Deshalb tüftelte er diesen Plan aus und half mir zu fliehen. Und die Tatsache, dass ich schwanger gewesen bin, auch wenn es nicht sein Baby war, hat dabei auch nicht geschadet. Er wollte mir dabei helfen, Sam großzuziehen, vermutlich einen Löwen aus ihm machen und sein eigenes kleines Rudel aufbauen. Aber ich mag mich täuschen. Wir haben nicht viel über die Zukunft gesprochen.«
Die beiden gingen weiter.
Nach einer Weile sagte Nick: »Ich kann nicht glauben, dass Graham ein Löwe gewesen ist. Das hätte ich nie und nimmer vermutet.«
»Er hat seinen Bart an dem Morgen, als wir dich kennenlernten, abrasiert. Und er hat sich normale Kleider angezogen und sein Fell abgelegt. Ich glaube, er war traurig, weil er sein Rudel zurücklassen musste, aber auch erleichtert, dass er nicht länger dem Druck ausgesetzt war, ein Anführer zu sein. Und er hat sich gefreut, dass er mir helfen konnte.«
»Aber du hast doch gestern gesagt, er hätte den Gefangenen gern Geschichten aus der Vergangenheit erzählt.«
»Er war der einzige Löwe, den ich kenne, der sich gern vor die Zellen gestellt und mit den Menschen geplaudert hat. Er war freundlicher als die meisten anderen. Ich denke, ein Teil von ihm wusste, dass das, was er und die anderen Löwen taten, falsch war, und dass ein Löwe zu sein nur eine Ausrede dafür ist, Menschen zu vergewaltigen und zu foltern. Genau wie die anderen Stämme sind sie nichts anderes als eine Gang – mit entsprechender Mentalität und dem typischen kriminellen Verhalten. Aber im Dschungel betrachtet man sie als Macht, sie werden gefürchtet und bewundert. Das ist alles so verdammt lächerlich.«
Nick konnte ihrer letzten Bemerkung kaum widersprechen.
»Gut, jetzt wo wir die Geheimnisse des anderen kennen, könnten wir ja doch übers Wetter plaudern?«
Nick lächelte.
Josephine nicht. »Ich meine es ernst. Hast du den Himmel gesehen? Gott ist wütend, und ich glaube, wir bekommen schon bald die Auswirkungen seines Zorns zu spüren.«
»Du glaubst das wirklich, oder?«
Josephine nickte. »Ich hoffe nur, dass Er, ganz gleich, was Er vorhat, diejenigen verschont, die sich bemüht haben, gute Menschen zu sein, trotz all des Bösen und des Wahnsinns um sie herum. Ich möchte, dass Sam in einer guten Welt aufwächst, auch wenn es nicht dieselbe ist, in der du und ich aufgewachsen sind. Alles, was zählt, ist, dass er sicher und gesund lebt.«
Sie trotteten eine Weile schweigend den Highway entlang. Nach einiger Zeit erreichten sie ein großes Ziegelgebäude. Das dreistöckige Haus wurde von grünen Schlingpflanzen überwuchert, aber Nick konnte eindeutig erkennen, dass es einst eine Schule gewesen sein musste. Die Fensterscheiben waren entweder zersprungen oder fehlten ganz, abgesehen vom Erdgeschoss: Dort hatte sie jemand mit einem bunten Sammelsurium aus Holz, Schilf und Müll verbarrikadiert.
»Sollten wir mal nachsehen?«
Josephine überlegte. »Ich würde lieber weitergehen. Mir gefällt der Geruch hier überhaupt nicht. Ich glaube, das ist ein Löwenbau.«
Es hing ein starker Gestank nach Blut und Fleisch in der Luft und sie konnten Kinder schreien und rufen hören. Wären der durchdringende Geruch und der Dschungel nicht gewesen, hätten sie ebenso gut vor einem Schulhof stehen können, auf dem die Kinder in der Mittagspause wild herumtollten.
»Es könnte auch ein weiteres Lager von Überlebenden sein. Ich weiß ja nicht, wie’s dir geht, aber ich stehe kurz vorm Verhungern. Wenn es eins von diesen Handelslagern ist, könnten wir den Mantel und die Decke gegen etwas zu essen eintauschen.«
Josephine stimmte zögernd zu. »Okay, sehen wir
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