Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
»Mich losbinden? Wo ist Bruce? Und wie hast du …?«
»Pssst«, flüsterte Beth. »Bruce unternimmt einen kleinen Ausflug auf die untere Ebene. Er dürfte eine Weile weg sein. Zumindest so lange, dass wir versuchen können, ihm zu entkommen.«
Candice blinzelte. »Du blutest«, sagte sie, hob eine Hand und zeigte auf Beths Kehle. »Hat er …?«
»Es geht mir gut«, unterbrach Beth sie und streifte die Fesseln von Candices Handgelenken ab. Sie half ihrer Tochter auf die Beine.
»Wie will Bruce denn nach unten kommen?«, wollte Candice wissen.
»Kletterpflanzen«, antwortete Beth und zerrte Candice in Richtung Feuer. Genau wie Bruce griff sie hinein und holte einen brennenden Ast heraus. Sie hob ihn hoch und beleuchtete damit die Stränge der Kletterpflanzen, die über ihnen hingen.
»Gott, das ist ja wie in einem richtigen Dschungel«, meinte Candice.
»Das ist nicht wie in einem richtigen Dschungel, das ist ein richtiger Dschungel.«
»Gibt’s im Dschungel nicht auch Tiger und all so was?«
Im orangenen Licht des Feuers konnte Beth die Angst erkennen, die sich auf dem Gesicht ihrer Tochter widerspiegelte. »Nicht in Australien, Liebling. Tiger leben in Asien.«
»Und was haben wir hier so?«
»Es leben nicht viele gefährliche Tiere in unseren Regenwäldern. Nichts, was einem Tiger gleichkäme.«
»Und was ist mit Schlangen?«
»Na ja, die gibtʼs schon, aber ich glaub nicht, dass sie giftig sind.«
Beth hatte keine Ahnung, ob die Schlangen, die im australischen Regenwald lebten, giftig waren oder nicht, aber sie hielt es für das Beste, das Candice gegenüber nicht zu erwähnen.
Ihr fielen die Augen wieder ein, die sie gestern in der dunklen Ecke des Parkdecks bemerkt hatte. Und das Geheul, das sie in der vergangenen Nacht gehört hatte.
Wir haben zwar keine Tiger in unserem Dschungel, aber wir haben Dingos – und die können auch gefährlich sein, besonders, wenn sie Hunger haben.
»Wie dem auch sei, denk am besten gar nicht über solche Sachen nach«, riet sie Candice. »Alles, worum wir uns Sorgen machen müssen, ist, einen Ort zu finden, an dem wir uns vor Bruce verstecken können. Und eine Möglichkeit, wie wir morgen früh von hier verschwinden.«
»Wenigstens hat es zu regnen aufgehört«, sagte Candice. »Aber ich hab Durst. Und Hunger. Aber vor allem schrecklichen Durst.«
»Ich weiß, Liebes, ich weiß. Ich auch.«
Beth drehte sich zum Geräusch des Wasserfalls um. Zu einer anderen Zeit, einer Zeit, als der Parkplatz noch intakt gewesen war, hätten sie nur eine Minute dorthin gebraucht, aber nun kam ihr die Entfernung beinahe unüberwindbar vor. Zwischen ihnen und dem durstlöschenden Wasser lag eine mächtige Kluft.
»Glaubst du, dass du bis zum Wasserfall laufen kannst?«
Candice nickte.
Beth starrte auf die dunkle Ödnis, die vor ihnen lag. Selbst mit der Fackel schien der Weg äußerst gefährlich. Ein falscher Schritt, und sie waren diejenigen, die in den Wald hinabstürzten.
Aber wir müssen es versuchen.
Sie brauchten Wasser, und sie mussten sich vor Bruce verstecken.
Beth warf einen Blick über ihre Schulter auf das Loch, durch das Bruce nach unten verschwunden war.
Wer weiß schon, was er anstellt, wenn er zurückkommt und sieht, dass wir hier stehen?
Das schiere Ausmaß ihrer Situation überwältigte Beth allmählich. Sie spürte, wie Panik in ihr aufstieg, schloss die Augen und atmete ein paarmal ganz tief ein, um sich zu beruhigen.
Diesmal half es jedoch nichts.
Oh Gott, dreh jetzt bloß nicht durch … nicht, wenn Candice dich braucht …
Ihre Brust fühlte sich viel zu eng an, ihre Atmung zu flach. Sie beugte sich nach vorne und stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab.
»Stimmt was nicht, Mum? Hast du einen Herzinfarkt? Oder einen Schlaganfall?«
Meine Güte, Candice, so alt bin ich wirklich noch nicht.
Da sie zu sehr außer Atem war, um zu antworten, schüttelte sie nur den Kopf.
»Was dann?«
Beth öffnete die Augen und sah Candice an. Ihre Tochter war die Verkörperung von Besorgnis. Ein seltener Anblick, und als sie die in Falten gelegte Stirn und die tiefe Beunruhigung in Candices Augen erkannte, wurde Beth ganz warm ums Herz. Sie beruhigte sich langsam wieder.
»Tut mir leid«, sagte sie, als sie wieder zu Atem kam. »Ich wollte dir keine Angst machen.«
»Tja, das hast du aber«, erwiderte Candice. »Gott, ich hab schon gedacht, du würdest …« Sie schluckte. »Aber jetzt geht’s dir gut?«
Beth richtete sich wieder auf.
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