Die Verdammten: Endzeit-Thriller (German Edition)
Mädchens. »Na klar. Das mach ich gern. Ich wollte gerade rausgehen und ein paar Beeren und Kräuter pflücken. Möchtest du mir dabei helfen, Grace?«
Grace hob ihre knochigen Schultern.
»Es ist ein wunderschöner Tag, und draußen wachsen überall Blumen. Das wird dir gefallen!«
»Sei aber vorsichtig, wenn du rausgehst«, mahnte ihre Mum. »Geh nicht über den Fluss.«
Maddy kam aus der Hocke hoch und sah ihre Mutter stirnrunzelnd an. »Natürlich bin ich vorsichtig.«
Ihre Mum gähnte und rieb sich die Augen.
»Hast du letzte Nacht ein bisschen geschlafen?«, erkundigte sich Maddy, obwohl sie die Antwort nur zu gut kannte.
»Ein bisschen.«
»Aber nicht viel?«
»Nein, nicht viel.«
Carol Tilling war einmal eine attraktive Frau gewesen. Ein bisschen mollig, sicher, und da sie als Heranwachsende zu viel Sonne abbekommen hatte, wirkte ihre Haut extrem faltig, aber davon abgesehen wirklich gut aussehend. Nun sah Carol zehn Jahre älter aus als ihre 52. Ihre Haut war blass und schlaff und ihre Augen, unter denen sich dunkle Ringe abzeichneten, durch den Schlafmangel stark gerötet.
»Dann vergiss bitte nicht, dich heute zwischendurch auch mal auszuruhen«, meinte Maddy.
»Ich kann nicht schlafen. Ich muss Felix helfen, das weißt du doch.«
»Doc Emerson hältʼs auch mal ein paar Stunden ohne dich aus. Er hat auch noch andere Helfer. Hier drin gibt es genügend Leute, die ihm zur Hand gehen können.«
»Ich kann nicht schlafen, wenn es hell ist.«
»Du kannst auch nicht schlafen, wenn es dunkel ist. Warum legst du dich nicht in die Aushöhlung in einem der Bäume und …«
»Nein! Meine Güte, ich will mich nicht ausruhen, okay? Ich bin deine Mutter, und ich weiß, wann ich schlafen und wann ich wach sein und helfen muss, okay?«
Maddy schaute zu Grace. Sie bemerkte, dass sich das Mädchen ein paar Schritte in ihre Richtung geschoben hatte.
Maddy seufzte. Das war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich mit ihrer Mutter zu streiten. »Okay, tut mir leid. Wo ist Lucy?«
»Sie spielt mit den anderen Kindern, nehme ich an.«
Maddy runzelte die Stirn. »Du nimmst es an?«
»Ich kann sie nicht rund um die Uhr im Auge behalten. Ich weiß, dass sie irgendwo hier im Gebäude ist. Ich glaube, sie spielt mit den anderen Kindern Verstecken.«
»Ja, sicher, bestimmt tut sie das«, erwiderte Maddy mit matter Stimme.
Vor der Ankunft der neuen Welt hatte ihre Mutter immer genau gewusst, wo sich ihre beiden Kinder aufhielten, Tag und Nacht. Nun schien es fast, als seien Maddy und ihre Schwester ihr lästig geworden, nichts weiter als eine Nebensächlichkeit.
»Wie dem auch sei, ich muss zurück an die Arbeit«, sagte Carol. »Und ihr Mädchen seid schön vorsichtig.«
Maddys Mum entfernte sich mit schweren Schritten durch den Vorhang – in Wahrheit bestand er nur aus ein paar zerrissenen Zeltstreifen, alten Decken und zusammengebundenen Kleidern, die sie an zwei niedrigen Ästen festgemacht hatten –, der die Krankenstation vom Rest des Asyls abtrennte. Als sie den Vorhang anhob, erhaschte Maddy einen Blick auf Doc Emerson. Er stand vor den im Kreis aufgestellten Krankenhausbetten, hielt sich mit einer Hand das Kinn und schien tief in Gedanken versunken. Aber vielleicht war er auch nur verwirrt, heutzutage ließen sich diese beiden Zustände nur noch schwer voneinander unterscheiden. Der Vorhang fiel wieder, und Maddy hörte kurz darauf, wie ihre Mutter und der Doc sich unterhielten. Die hohe, aber harsche Stimme des Arztes durchschnitt das Gebrüll und das Lachen der Kinder – ein wundervolles Geräusch, das alles beinahe normal wirken ließ – und das Zwitschern und Kreischen der Vögel.
Dr. Felix Emerson war ein kleiner, dünner Mann mit zerzaustem weißem Bart und einer glänzenden Glatze. Er hatte ein gutes Herz, aber selbst die gutherzigsten Menschen wurden in dieser neuen Welt an die Grenze ihrer Belastbarkeit getrieben. Da er der einzige Arzt der Anlage war und nur über einen eingeschränkten Vorrat an Verbandszeug und Heilkräutern sowie ausschließlich das Wissen verfügte, das in seinem Gehirn gespeichert war – nicht viel, wenn man gebrochene Knochen, Unterernährung, diverse Dschungelkrankheiten und allgemeine Verletzungen behandeln musste –, trug er eine große Last auf seinen knorrigen Schultern.
Das Resultat waren eine hohe Sterblichkeitsrate und wenig Hoffnung – Büschelblumen, Johanniskraut und eine anständige Dosis Beeren verfügten eben nur über eine begrenzte Wirkung. Der
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