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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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das Amulett nicht
in Seths Hände fallen lassen.« Sie seufzte noch einmal, dachte einen
Moment lang angestrengt nach und begann dann, unerwartet umständlich und mit kleinen, mühsamen Bewegungen, wieder auf den
Rücken ihres Kamels zu steigen. »Kommt. Wir müssen uns beeilen.
Die Sonne geht bald auf.«
Beeilen?, dachte Andrej mit einem Anflug von Entsetzen.
Was zum Teufel glaubte sie denn, was sie die ganze Nacht über getan hatten?
Wir müssen das Dorf pünktlich bei Sonnenaufgang erreichen, wisperte Meruhes Stimme hinter seiner Stirn. Vielleicht nicht nur hinter
seiner, denn auch Abu Dun fuhr erschrocken zusammen und sah sich
verwirrt um. Oder wir verlieren einen ganzen Tag.
»Wieso?«, fragte Andrej laut.
Weil der Höhleneingang nur bei Sonnenaufgang offen ist, antwortete Meruhe.
»Würdest du… bitte damit aufhören?«, fragte Abu Dun stockend.
»Es macht mich… nervös.« Er warf einen raschen, unsicheren Blick
in Andrejs Gesicht hinauf und schien es dann mit einem Mal sehr
eilig zu haben, ebenfalls wieder aufzusitzen.
»Wie weit ist es noch bis zu deinem Dorf?«, fragte Andrej.
»Nicht mehr weit. Vielleicht eine Stunde. Weniger, wenn wir uns
beeilen.« Meruhe machte eine unwillige Geste. »Wir können auch
reden, während wir reiten, weißt du?«
Warum hat sie es plötzlich so eilig?, fragte sich Andrej. Abu Dun
hat vollkommen Recht - wir haben in diesem Tempel genau die Zeit
verloren, die wir jetzt so dringend brauchen.
Meruhe schenkte ihm einen giftigen Blick, aber sie antwortete
diesmal nicht auf seine unausgesprochene Frage, sondern ritt los und
ließ ihr Kamel schon nach wenigen Schritten in ein so scharfes Tempo fallen, dass Abu Dun - und vor allem Andrej - alle Mühe hatten,
nicht zurückzufallen.
    Das Dorf war eigentlich kein richtiges Dorf. Möglicherweise war es
das vor vielen Jahren einmal gewesen, jetzt aber bestand es nur noch
aus einer Hand voll ärmlicher Hütten, die keinem erkennbaren Muster folgend am Eingang eines gewaltigen Felsentals verstreut waren.
Dazwischen überzogen Muster aus symmetrischen Linien und Strichen den Boden, vielleicht die zerbröckelnden Grundmauern einer
viel größeren Ortschaft, die hier irgendwann einmal gestanden hatte.
Vielleicht waren sie aber auch nur durch eine Laune der Natur entstanden. Möglicherweise war es eine optische Täuschung, die durch
die zahllosen Feuer zustande kam, die überall zwischen den Häusern
und Zelten brannten. Meruhe hatte sich getäuscht. Faruk hatte nicht
seine Garde mitgebracht, sondern seine ganze Armee. Andrej schätzte die Anzahl der Männer, die am Eingang des Tales lagerten, auf
mindestens fünfhundert.
    »Was um alles in der Welt hat er vor?«, flüsterte Abu Dun. »Einen
Krieg anfangen? Gegen wen?«
Es war keine Frage von der Art, auf die er eine Antwort erwartete.
Andrej hob auch nur wortlos die Schultern, aber er bemerkte aus den
Augenwinkeln, wie sich Meruhes Gesicht noch weiter verdüsterte;
als wisse sie die Antwort auf diese Frage nur zu gut.
Statt jedoch etwas zu sagen, bedeutete sie Abu Dun mit einer Geste,
sich still zu verhalten, und ließ sich selbst zugleich tiefer in den
Schatten des Felsens sinken, hinter dem sie Schutz gesucht hatten.
Sie bewegte sich vollkommen lautlos, selbst für Andrejs Verhältnisse. Nicht einmal seine scharfen Ohren, denen normalerweise selbst
das Schlagen eines Schmetterlingsflügels nicht entging, fingen auch
nur den mindesten Laut ein.
»Wir müssen zu den Höhlen«, sagte sie. »Bevor die Sonne aufgeht.«
»Und deine Leute?«, fragte Abu Dun.
»Ich hole sie, sobald der Eingang offen ist«, antwortete Meruhe.
»Zuerst müssen wir…«
»Zuerst müssen wir was?«, fragte Abu Dun, als Meruhe nicht weitersprach, sondern nur die Lippen zu einem schmalen, blutleeren
Strich zusammenpresste.
»Nichts«, sagte Meruhe. »Kommt jetzt. Und keinen Laut. Wir gehen durch die Schatten.«
Obwohl er es nun zum wiederholten Mal erlebte, hatte der Vorgang
nichts von seiner Unheimlichkeit verloren. Andrej hätte auch jetzt
nicht sagen können, was Meruhe eigentlich tat; solange sie sich in
ihrer unmittelbaren Nähe aufhielten, schienen sie für jedermann einfach unsichtbar zu sein, selbst wenn sie auf Armeslänge an ihm vorbeigingen oder er direkt in ihre Richtung sah. Dasselbe galt auch für
jeglichen Laut, den sie verursachten. Sie durchquerten nicht nur das
Dorf, sondern auch Faruks Lager sowie die doppelte Kette von
Wachtposten, die der Emir am Eingang des

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