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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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letzte Stück des Weges, ohne dass
sich einer der zahlreichen Männer umdrehte. Dann blieb Meruhe
wieder stehen und winkte heftig…
… und war plötzlich verschwunden.
Andrej war so verblüfft, dass er einfach weiterstolperte und im
nächsten Moment mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht
kämpfen musste, weil da, wo er ebenen Boden nicht nur erwartete,
sondern auch sah, mit einem Male eine Stufe war. Mit mehr Glück
als Geschick gelang es ihm, einen Sturz zu vermeiden, und dann
musste er einen noch rascheren und noch hastigeren Schritt zur Seite
machen, um Abu Dun auszuweichen, der hinter ihm auf dieselbe
Weise herangestürmt kam. Der Nubier wäre gefallen, hätte Andrej
nicht blitzschnell zugegriffen und ihn festgehalten.
»Was für eine verdammte Hexerei ist das jetzt wieder?«, beschwerte sich Abu Dun, nachdem er sein Gleichgewicht wiedergefunden
und Andrejs Hände abgestreift hatte.
»Es gibt keine Hexerei«, erklang Meruhes Stimme aus der Dunkelheit. »Bleibt, wo ihr seid. Ich mache Licht.«
Andrej hatte ohnehin nicht vorgehabt, sich auch nur einen Fußbreit
von der Stelle zu rühren. Die Felswand, der Sand, der Himmel, alles
war verschwunden. Rings um sie herum herrschte ein graues Zwielicht, in dem sich selbst Abu Duns massige Gestalt nur als verschwommener Umriss abzeichnete, obwohl er kaum einen Schritt
von ihm entfernt war. Aber er spürte die Felsen, die sie umgaben.
Auch wenn er nicht verstanden hatte, wie - sie hatten die Höhlen
betreten, von denen Meruhe erzählt hatte.
Etwas raschelte, dann hörte Andrej das ihm schon vertraute, schnelle Klicken von Meruhes Feuersteinen, und einen Moment später
stach das rote Licht einer Fackel in seine Augen. Andrej blinzelte,
hob instinktiv die Hand vor das Gesicht - und gleich darauf wieder
ungläubig die Augen auf. Meruhe hatte von einer Höhle erzählt, doch
sie befanden sich in einem hohen und sehr langen rechteckigen
Gang, der eine starke Neigung hatte und dessen Wände über und
über mit prachtvollen Bildern wie Hieroglyphen und goldenen und
silbernen Einlegearbeiten bedeckt waren. Ein leiser Windzug streifte
ihre Gesichter und brachte einen sonderbaren, aber nicht unangenehmen Geruch mit sich.
»Erstaunlich«, sagte Abu Dun, nachdem auch er sich einen Moment
lang aufmerksam umgesehen hatte. »So etwas nennt man bei euch
also eine Höhle?«
Meruhe lächelte flüchtig. »Hättest du dich wohler gefühlt, wenn ich
dir gesagt hätte, dass wir uns in einem Grab verstecken?«
Abu Dun antwortete vorsichtshalber nicht darauf, zog aber eine
Grimasse, während Andrej mit langsamen Schritten an Meruhe vorbeiging und sich dabei mit unverhohlenem Staunen umsah. Die Bilder, die er erblickte, waren ihm zum größten Teil nicht neu; viele von
ihnen hatte er, wenn auch in leicht abgewandelter Form, sowohl in
dem Zikkurat als später auch in der Tempelruine unter der Wüste
gesehen, niemals jedoch hatte er etwas erblickt, was auch von nur
annähernd so großer Kunstfertigkeit gewesen wäre. Hier waren
Meister am Werk gewesen, nicht einfach jemand, der etwas auf die
Wand gekritzelt hatte, um seinen Göttern zu huldigen. Die meisten
Figuren waren stark stilisiert und in unnatürlichen Haltungen abgebildet, wie es die Art der alten ägyptischen Darstellungen war. Manche Bildnisse jedoch wirkten so lebensecht, dass man meinen konnte,
sie würden im nächsten Moment aus der Wand heraustreten. Viele
Figuren trugen keinen gemalten, sondern echten Schmuck; Blattgold
und Splitter von Edelsteinen, die kunstvoll in die Bilder integriert
worden waren. Wenn man lange genug hinsah, erkannte man, dass es
sich auch nicht nur um bloßen Wandschmuck handelte, sondern dass
diese Bilder eine Geschichte erzählten. Aber Andrej war nicht sicher,
ob er diese Geschichte wirklich kennen wollte.
»Ein Grab?«, wiederholte er.
»Das Grab Ramses’ des Ersten«, bestätigte Meruhe, runzelte dann
die Stirn und fügte, etwas leiser und nur an sich selbst gewandt, hinzu: »Oder war es der zweite, oder dritte?« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht ganz sicher… sie haben alle Ramses geheißen, weißt
du?«
Andrej sah sie irritiert an. Es dauerte eine ganze Weile, bis er das
amüsierte Funkeln in Meruhes Augen bemerkte und begriff, dass sie
sich wohl über ihn lustig machte.
»Das Grab eines Pharao?«, vergewisserte er sich. »Aber wurden sie
denn nicht in den Pyramiden beigesetzt?«
»Am Anfang, ja«, bestätigte Meruhe. Sie drehte sich um und

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