Die Verfolgerin - Roman
habe. Ich lächele. Die lächeln. Till bestellt ein Bier und eine Portion Schweinsbraten. Ich dasselbe. Das Bier, das gebracht wird, ist ein Schwarzbier. Ich trinke es schnell. Vielleicht auch mehrere Biere. Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich müde war, dass es draussen auf der Strasse kalt war. Vielleicht hat Till mich in ein Taxi gesetzt und nach Hause fahren lassen. Ich weiss es nicht. Ich stehe in meinem Haus, in der Diele mit einem Stock in der Hand. Das Teleskopteil zusammengeschoben. Ich weiss nicht, wo der andere ist. Ein Stock genügt für mein Vorhaben. Ein Stock macht es sogar leichter, weil ich ohnehin nur einen Stock präparieren lassen kann.
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Der Requisiteur lebt in einem Hinterhaus, im Souterrain im Stadtteil Haidhausen. Eine Treppe führt vom Hof in seine Werkstatt und Wohnung. Beides befindet sich in einem grossen Raum mit zwei Lichtschächten, einem Gang mit einer Küchenzeile. Sein Bett steht unter den Fenstern, daneben hinter einer Plexiglaswand eine Badewanne und eine Dusche, eine Werkbank mitten im Raum und ein runder Bistrotisch neben dem Kühlschrank. Ein Mountainbike ist an die Wand neben sein Bett gelehnt, vor seinem Bett steht ein Flachbildfernseher. Ein Trickfilm läuft. Er hat den Kinderkanal eingeschaltet. Auf der Werkbank liegen Pläne, mehrere Handys, leere Red-Bull-Dosen. Ich lege meine Zeichnung von dem Regenschirm, der im Fall Georgi Markow verwendet wurde, auf den Tisch. Der Requisiteur fragt, ob ich Red Bull oder einen Kaffee möchte. Espresso, sage ich, wenn es möglich ist. Es ist möglich. Der Requisiteur heisst Marco. Er ist kräftig gebaut, bewegt sich flink durch den Raum. Er redet viel. Es klingt, als komme er aus Berlin. Seine Stimme hat einen hellen Klang. Ich kann ihn nicht verstehen. Das liegt an den hohen Räumen. Die schlucken die Worte. Ich sage ihm, dass ich ihn fast nicht verstehen kann, wegen der schlechten Akustik, ob er nicht etwas langsamer und deutlicher sprechen könne. Er spricht weiter wie bisher, und ich weiss nicht, ob er mich verstanden hat. Ich nehme mir vor, ihm in die Augen zu sehen und langsam und deutlich mit ihm zu sprechen, wenn er aus seiner Küchenzeile kommt. Er hat dunkelgraue Augen. Wie das Fell von Mäusen. In der Iris des linken Auges sind nebeneinander zwei schwarze Punkte. Ich erkläre ihm, dass ich den Nordic-Walking-Stock so präpariert haben möchte wie es der Regenschirm, der beim Regenschirmattentat verwendet wurde, war. Und dass ich dazu gern Platinkügelchen hätte, wie sie damals verwendet wurden. Muss es funktionieren?, fragt er. Ich sage, dass es genauso funktionieren soll wie in der historischen Vorlage. Er wisse doch, die Authentizität. Erst wenn alles, jede noch so kleinste Empfindung im Gesicht eines Schauspielers, so echt wie möglich ist, erst dann vergessen die Zuschauer, dass es sich um Fiktion handelt, und die Gefühle springen von der Leinwand direkt in den Solarplexus. Marco stöhnt. Er habe bisher gemeint, nur die Männer, also die Regisseure, seien so durchgeknallt. Ich sage ihm, dass ich Autorin bin. Er fragt, welche Drehbücher denn von mir stammten. Er habe meinen Namen noch nie gehört. Ich sage, dass ich unter Pseudonym schreibe, auch diesmal. Marco nimmt die Zeichnung, überzeichnet die Linien mit einem Filzstift und sagt, dass es schwieriger sei mit einem Nordic-Walking-Stock, weil da der Knopf für den Auslöser fehle. Er könne den einbauen. Er legt meinen Stock in seinen Werkzeugschrank. Dort liegt bereits einer, der aussieht wie meiner. Er klebt einen Zettel mit meinem Namen darauf.
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Fünfzig Personen hat der Ehemann eingeladen. Er hat Bierbänke aufgestellt, im Erdgeschoss des Hauses. Im Esszimmer. In seinem Arbeitszimmer. In meinem Arbeitszimmer. In der Diele. In der Küche ist das Buffet aufgebaut, auf der Terrasse stehen Getränkekästen. 22 Grad Aussentemperatur zeigt das Thermometer. In der Nacht sollen es zwei Grad werden. Temperatursturz von bis zu 20 Grad in einigen Städten wie in Freiburg im Breisgau innerhalb von 24 Stunden, sagen die Meteorologen. Die Luft ist warm. Der Föhn verändert die Sicht. Die Konturen sind schärfer, das Wintergehölz der Bäume dunkler, der Schnee grobporiger, die Berge näher, die Wolken auch. In neun Tagen ist Weihnachten. Der Mann feiert Geburtstag. Den fünfzigsten. Ich habe weisse Tischdecken über die Biertische gebreitet und Kerzenständer, die aussehen, als wären sie aus Gold, darauf gestellt. Ich mag solche Kerzenständer nicht, aber der
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