Die Verfolgerin - Roman
Mann wollte sie, damit es festlich aussieht. Sie haben nicht viel gekostet. Die beiden Söhne und deren Freundinnen sollen die Gäste bedienen. Der ältere ist noch nicht da. Als er mit seiner Freundin kommt, sagt der Ehemann: Oh, was bringst du mir denn für ein Geschenk mit. Er schaut die Freundin an. Von oben bis unten. Es sieht aus, als übertreibe er absichtlich, als spiele er eine Rolle. Einen Typen mit Goldkettchen und Siegelring. Der Vater des Mannes fragt den älteren Sohn, woher er denn den Hasen habe. Die anderen am Tisch lachen. Der Vater des Mannes hat eisblaue Augen. Tote Augen, hat Lisa gesagt, als wir uns einmal darüber unterhielten. Ich hatte Lisa erzählt, dass in seinem Haus eine Urkunde hängt, auf der steht, dass er bei der SS war. Lisa hatte gesagt, dass es in ihrer Familie auch so eine Geschichte gibt. Ihr Grossvater. Mehr wollte sie dazu nicht sagen. Sie sei noch nicht so weit. Die Freundin des älteren Sohnes hat eine makellose Haut. Die schimmert wie blauschwarzer Samt im Kerzenlicht. Sie zeigt viel von der Haut, lacht den Mann an und übergibt ihm ein Paket. Darin ist ein Kuchen. Den hat sie selbst gebacken. Der Kuchen heisst Milk Tart. Er ist mit Zimt bestreut. Er besteht aus einer cremigen Masse. Die Freundin des Sohnes fragt den Mann, ob sie ihn zu den süssen Speisen auf das Buffet stellen soll. Ja, ja, sagt der Mann. Mach nur. Alles, was du willst. In seinem Gesicht zeigt sich ein Lachen, aber er lacht nicht. Ich beobachte seine Augen. Er hat die Augen seines Vaters. Noch sind sie wasserblau und nicht vereist. Manchmal, wenn er mich anschaut, sind seine Augen grau, als läge ein Schatten darauf. Der Tisch für die Geschenke steht im Arbeitszimmer. Als alle essen, stecke ich unter die vielen Umschläge, die dort an Blumenvasen voller Rosen und Azaleenblumentöpfen stehen, einen Umschlag von mir. Eine Karte aus handgeschöpftem Büttenpapier mit einer 50 auf dem Umschlag. In die Innenseite habe ich in Druckbuchstaben geschrieben: Einladung zu einer aussergewöhnlichen Nacht. Treffpunkt Dienstag, 20. Dezember, 19.30 Uhr vor dem Nationaltheater, Max-Joseph-Platz. Alles weitere vor Ort. Gruss von einer bekannten Unbekannten. Ich schenke dir das Buffet, hatte ich dem Ehemann gesagt. Er wollte kein Catering. Man könne viel Kosten sparen, wenn man selbst ein Buffet anrichte, hatte er gesagt. Ich habe lange gerechnet, um die günstigsten Gerichte, die am wenigsten Zeitaufwand erfordern und satt machen, zusammenzustellen. Es gibt Salate aus Linsen, Karotten, Kartoffeln und Nudeln. Es gibt Schweinekrustenbraten und Geflügelbrüste. Den Kuchen haben die Gäste mitgebracht. Ich habe Lisa eingeladen, damit ich jemanden zum Reden habe. Ich habe das Lisa vorher mitgeteilt. Unter den Gästen werden Kollegen sein, hat Lisa gesagt. Sie rede gern mit denen. Es sind keine Pathologen eingeladen, sage ich. Und dass sie nicht kommen brauche, wenn sie nicht für mich da sei. Lisa ist für mich da. Wir essen Sushi, das ich nur für uns besorgt habe, aus einer Plastikschale und hören die Toccata avanti la Messa della Domenica von Girolamo Frescobaldi im Musikzimmer im ersten Stock. Es ist ein Stück aus der Orgelmusiksammlung des Mannes. Ich habe gar nicht gewusst, dass er auf Orgelmusik steht, sagt Lisa. Sie hat sich in den Ohrensessel gesetzt. Jetzt fehlt nur noch der Drink und was zum Knabbern, sagt sie und zwinkert mir zu. Du meinst, wenn ich dich schon darauf festlege, dass du für mich da bist, dann muss ich auch gut für dich sorgen, sage ich. Genau, erwidert Lisa und lacht. Wenn Lisa lacht, dann ist es, als käme dieses Lachen aus dem Herzen. Bevor ich das Zimmer verlasse, sage ich: Übrigens, Geo steht nicht nur auf Orgelmusik, er spielt selbst Orgel, meist in der Kapelle im Krankenhaus nach einer riskanten Operation oder wenn ein Patient verstorben ist. Dann spiele er für die Angehörigen, und die Krankenhauspastorin halte einen Gottesdienst, sage ich. Das spricht doch aber für ihn, sagt Lisa. Mich ärgert Lisas Einwand.
Gegen drei Uhr kommt der Ehemann in das Musikzimmer. Lisa ist eingeschlafen. Ich schaue mir eine DVD an: Horowitz 1985 in Moskau. Die Kamera zeigt die Gesichter der Menschen, die ihm zuhören. Aufgedunsene, erschöpfte Gesichter von Männern und Frauen. Tränen rinnen darüber. Ein Mann wischt sich mit einem Stofftaschentuch über die Augen. Der Ehemann nimmt die Karten vom Geburtstagstisch, legt sich auf die Liege, seufzt auf und schaut sich die Karten an. Oh, was ist denn das,
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