Die Verfolgerin - Roman
oder zustimmt, sondern immer wieder die Geschichte von Henry von Frankenberg erzählt. Ich trinke den Latte Macchiato, stehe auf und verabschiede mich. Ich sage ihr, dass es bei ihr den besten Kaffee im ganzen Oberland gibt und ich jetzt aber fahren müsse, da ich noch einen Termin habe. Die Goldmann lächelt und ein kleines Mädchen schimmert unter ihrem müden Gesicht hervor. Sie begleitet mich zum Auto und sagt, ich solle den Bürgermeister gleich anrufen, denn es könne schnell gehen und dann würden sich alle wundern, woher wir das Interview hätten. Sie begleitet mich zum Auto, und um uns tänzelt Toto durch den Matsch. Die Goldmann läuft schnell ins Haus zurück, um sich gefütterte Gummistiefel anzuziehen. Ich steige ins Auto und mit dem Zünden erklingt die Vertonung von ›Ein Morgen am Tegernsee‹. Ich öffne das Fenster und lass die Musik hinaus. Die Goldmann sagt, dass dies eine schöne Musik sei. Aber wissen Sie, sagt sie. Leider hat für solche Musik heute keiner mehr ein Gespür. Das ist schade für den Musiker, denn so etwas kaufen ihm nur Freunde ab, um ihm eine Freude zu machen. Aber schön ist es, sagt sie, als ich bereits wende. Ich winke ihr, sehe sie im Rückspiegel mit Hund Toto, der seine Schnauze in einen Berg schmutzigen Schnees gesteckt hat, in der Einfahrt stehen.
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Ich rufe im Auftrag von Frau Goldmann an, sage ich der Sekretärin des Bürgermeisters. Der Name Goldmann ist bei dieser Formulierung das siebente Wort. Das habe ich mir genau überlegt. Lieber noch hätte ich eine Formulierung gefunden mit dem Namen Goldmann an erster oder zweiter Stelle. Der Name Goldmann ist ein Türöffner. Die Sekretärin hört mir, als sie den Namen Goldmann hört, weiter zu und sagt dann, dass sie sich wegen eines Termins bei mir melden werde. Ich sage ihr nicht, dass es dringend ist, weil es ja schnell gehen könne.
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Till will, dass ich eine der Protagonistinnen in seinem neuen Film bin. Eine Dokumentation über Geisteswissenschaftler und gleichzeitig ein Spielfilm. Wir treffen uns in einem Café am Rosenheimer Platz, damit er mir erklärt, was er vorhat. Im Buffet liegen mehrere Reihen Lebkuchen. Ich bestelle mir einen zum Kaffee. Till steht vom Tisch auf und geht an den Tresen, kehrt mit Honig zurück. Er trinke seinen Kaffee nur noch mit Honig, sagt er und rührt einen Löffel Honig in seine Espressotasse. Ich frage ihn, was er dokumentieren will. Was der Geist von Geisteswissenschaftlern so produziert, nachdem sie sich im Studium jahrelang damit beschäftigt haben, was Geist beabsichtigt und verfolgt. Und ausserdem würde er es interessant finden, womit Geisteswissenschaftler so nach sechs Jahren Studium ihr Geld verdienen. Er lacht feist vor sich hin. Feist. Till bläst die Wangen beim Lachen auf und bläst geräuschvoll Luft auf seine Espressotasse. Feist. Ich habe nicht gewusst, dass feist strotzen, fett sein, schwellen, quellen heisst. Das lese ich in meinem Smartphone, während Till sich so einen Lebkuchen holt, wie ich ihn auf dem Teller liegen habe. Till will einen ersten Termin mit mir für eine Aufnahme. Er sagt: Am besten bei diesem Requisiteur, nach dem ich ihn gefragt hätte. Ich solle mich vorstellen und erklären, was ich dort zu tun hätte, also an welchem Projekt ich arbeite. Er würde das filmen lassen. Till spricht schnell auf mich ein, als wolle er mich überreden, dies zu tun. Ich höre ihm zu und leiste keinen Widerstand. Dass er mich von etwas überzeugen will, dem ich offen gegenüberstehe, wundert mich. Deshalb sage ich ihm, dass er mich bei dem Termin mit dem Bürgermeister filmen kann. Damit verdiene ich mein Geld. Beim Requisiteur gebe ich Geld aus.
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Celine heisst das Geschenk für den Ehemann. Sie arbeitet bei einem Escort-Service. Ich habe ihr gesagt, dass der Ehemann nur Datum und Uhrzeit kenne, nicht, was ihn erwarte. Celine hat gesagt, sie verstehe. Ihre Stimme erinnert mich an die von Fernsehmoderatorinnen. Jedes Wort ist von Tönen, die ich als weiche Freundlichkeit bezeichne, durchtränkt. Ob sie wirklich versteht, weil sie in Form eines Gutscheins mindestens einmal im Monat als Geburtstagsgeschenk an Ehemänner vermittelt wird, frage ich nicht nach. Celine hat braune lange Haare. Auf dem Foto stand sie mit gespreizten Beinen in einem Bach. Nackt. Ich habe das Foto angeklickt. Es erschienen noch mehr Fotos und ihre Daten. Alter: 35 Jahre. Grösse: 172 Zentimeter. Gewicht: 54 Kilogramm. Konfektionsgrösse: 36. Oberweite: 75 C-D. Celine begleitet
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