Die Verfolgerin - Roman
den Hals und glasigen Augen eine Zeitung lesend. Es fühlt sich an, als würde unser Leben in den Container geworfen und ich stehe auf, gehe heiss duschen, um mir während des Duschens vorzustellen, wie ich mir moderne Kunst für die frisch geweisselten Wände besorge und die Räume im Haus für eine Weile leer stehen lasse.
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Eine SMS von Till. Glas. So heisst der Ton, den ich auf meinem Handy für eingehende SMS eingestellt habe. Ich bin auf dem Weg zu Emilia. Ich höre das Geräusch, das als Glas bezeichnet wird, aus meiner Jackentasche, als ich den Eingang zur U-Bahn passiere. Vor mir läuft ein Mann. Alle, die ihm entgegenkommen, schauen ihm in den Schritt, sind entsetzt, drehen sich nach ihm um, wenn sie vorbei sind. Ein Mann zückt sein Handy und wählt eine Nummer und dreht sich immer wieder um. Ich bleibe hinter dem Mann, dem alle auf den Schritt schauen, und lese die Nachricht von Till. »Ich muss dir etwas zeigen. Es geht um dich. Morgen um neun Uhr im neuen Haus.« Ich antworte nicht. Der Mann, dem alle entsetzt auf den Schritt schauen, ist verschwunden. Vielleicht ist er auf dem anderen Bahnsteig. Ich schaue nicht hin. Ich will ihn nicht sehen. Auch nicht die Gesichter der Menschen, wenn sie ihn erblicken.
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Schön, dass du kommst. Ich habe alles geschafft, sagt Emilia, als sie mir die Haustür öffnet und mich hereinwinkt. Ich werde staunen, sagt sie. Ich tue ihr den Gefallen und staune, obwohl ich nicht weiss, was sie geschafft haben wollte. Sie zeigt mir das Haus, das Wohnzimmer mit der neuen olivgrünen Ledercouch und den Arbeiten von Jakob Seilman an der Wand. Landschaften auf Farbklänge reduziert. Sie zeigt mir die Bibliothek mit den weiss lasierten Regalen, die bis unter die Decke reichen, zieht zwei Afrikabände aus der unteren Bücherreihe. Die seien von ihrem Onkel, dem Arzt und Afrikafan. Wir setzen uns in die olivgrünen Ledersessel, die eigentlich zur Couch gehören, die sie aber in die Bibliothek gestellt hat, wie sie sagt. Zwischen uns steht ein runder Holztisch mit Intarsienarbeiten, einem Schachbrettmuster. Sie schenkt Tee ein und fragt mich, was ich zu all dem sage. Ich sehe ihre Augen strahlen. Ich sage, dass ich mich sehr für sie freue und dass ihre Freude in den Räumen zum Ausdruck komme. Sie sagt: Ja, wirklich, und erzählt mir noch einmal die Geschichten vom Kauf der Couch, der Bilder, der Begegnung mit dem Künstler. Sie erzählt es dreimal. Dann hat sie ihre Freude entladen. Vielleicht schwebt die Freude nun durch die Räume, denke ich. Und wie ist es bei dir? Was macht deine Arbeit? Kommst du gut voran? Ja, sage ich. Nur bemerke es keiner. Das sei eine merkwürdige Sache. Ich zeige ihr ein Foto von der Landkarte mit den bunten Fähnchen. Erkläre ihr die Bedeutung der Farben. Sage ihr, dass ich als Verfolgerin insgesamt 17 Menschen mit dieser Methode getötet habe, es aber keiner bemerkt. Keine Meldungen in den Zeitungen. Vielleicht seien sie ja gar nicht tot, sagt Emilia und schenkt Tee nach. Sie fragt, ob ich noch von dem Zopf wolle. Es sei wieder der vom Rupfmüller, nächstes Mal hole sie etwas anderes. Ich würde immer das gleiche bei ihr vorgesetzt bekommen. Sie habe nicht dran gedacht. Ich sage, dass ich vielleicht die Methode mal an jemandem testen müsste, den ich kenne. Dann wüsste ich Bescheid. Das ist eine gute Idee, sagt Emilia. Ob ich schon wüsste, dass sie nun einen Hund habe. Einen patagonischen Hütehund. Sie hole ihn morgen aus dem Tierheim. Er sei etwas gestört, hätten die Leute vom Tierheim gesagt. Als Welpe sei er geschlagen worden. Das habe ihr Herz so gerührt, dass sie ihn haben wollte. So einem armen Tier müsse man doch ein Zuhause geben und das Leben schön machen, sagt sie. Ich sage ihr, dass ich eigentlich wollte, dass keiner die Morde bemerkt. Das sei eigentlich für mich der Kick an der Sache gewesen. Emilia sagt, ich solle nicht Kick sagen, dass passe nicht zu mir. Das Wort Reiz sei besser. Aber, dass es nicht einmal eine Nachricht über einen rätselhaften Tod in der Zeitung gebe, an zwei oder drei Menschen, dass frustriere schon, sage ich. Frustrieren sei auch so ein Wort, das sie nicht ausstehen könne. Aber was mich denn daran ärgere, fragt sie. Das sei doch wirklich mal was anderes und genau deshalb so reizvoll. Ja, aber wenn es keiner weiss.
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Die Haustür steht offen. Till ist nirgends zu sehen. Ich rufe ihn. Keine Antwort. Ich trete ins Haus. Es ist dunkel. Als ich im Wohnzimmer stehe, wird es hell. An der Wand gegenüber
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