Die Verfolgerin - Roman
der Terrassentür läuft ein Film. Ich sehe eine Kellertreppe, das Gesicht des Requisiteurs, dann mich beim Requisiteur, wie er mir eine Schachtel zeigt. Ich erkenne sie. Die mit den Platinkügelchen. Dann folgen Aufnahmen vom Requisiteur, wie er die Kügelchen betrachtet, dann den Nordic-Walking-Stock. Die Kamera schaut dem Requisiteur über die Schulter, sie zeigt, wie er die 64 in den Stock brennt, wie er die Zahl golden ausmalt. Andere Einstellung: Marco überreicht mir den Stock, zeigt in Richtung Kamera. Dann Menschen in einer U-Bahn. Gedränge. Dann sehe ich einen Arm, einen Kopf seitlich von hinten. Das bin ich. Die Kamera schwenkt auf das Gesicht einer Frau, die ich kenne. Die Kamera zeigt sie im Profil. Die steinerne Frau. Die Szenen verwackeln. Offensichtlich läuft der Kameramann schnell. Dann der Zusammenstoss der Frau mit mir im Hofgarten. Ich vor dem Schaufenster in der Ludwigstrasse, wie ich mich umsehe. Die Proportionen der Einstellungen stimmen nicht. Es sieht aus wie mit versteckter Kamera aufgenommen. Dann an der rechten Wand ein anderer Film. Die Filmstadt in Unterföhring. Der Mann mit dem verschlossenen Gesicht. Von hinten. Ich hoffe, dass eine Einstellung dabei ist, auf der man ihn von vorn sieht, sein Gesicht. Dann kann ich Emilia zeigen, dass es sie doch gibt, die Menschen mit den leeren Gesichtern, denke ich. Eine Grossaufnahme meines Stockes. Die 64, nicht ganz im Bild, aber es ist zu sehen, dass es die Zahl 64 ist. Dann die Stockspitze, wie sie in die linke Pobacke unterhalb der Lederjacke eintritt, und dann eine Grossaufnahme vom Gesicht des Mannes. Seinem leeren Gesicht. Das muss woanders aufgenommen worden sein. Die Einstellung mit der Grossaufnahme seines Gesichts bleibt stehen. Es steht ein Datum darunter. Der 19. Januar. Ich versuche, es mir zu merken, um nachschauen zu können, wann es passiert ist. Vielleicht ist die Aufnahme einen Tag danach gemacht worden oder zwei. Ich suche nach Anzeichen von Übelkeit und entdecke einen angespannten Ausdruck im Gesicht. Doch ein Ausdruck, wird Emilia sagen. An der linken Wand läuft nun auch ein Film. An allen Wänden laufen gleichzeitig Filme. Immer mit anderen Menschen mit leeren Gesichtern. Das ist Material für Emilia, denke ich. Till schaltet das Licht an. Ich weiss nicht, woher er gekommen ist. Vielleicht ist er hinter meinem Rücken durch die Terrassentür hereingekommen. Ich habe ihn nicht bemerkt. Die Filme an den Wänden laufen weiter. Blasser. Ich kann nichts mehr darauf erkennen. Der Ton läuft auch weiter. Lärm aus der U-Bahn, vorbeifahrende Autos von der Strasse, gelegentlich Wortfetzen. Ich sehe jetzt erst, dass Kisten um uns herum stehen. Ich wundere mich, dass ich mich vorher nicht daran gestossen habe. Till sagt, dass seine Familie am nächsten Tag kommt. Mit den Möbeln und all den Sachen. Sie ziehen hier ein, sind dann immer hier. Kein Ort mehr für uns. Ich sage Till, dass er gute Arbeit geleistet habe, und frage, ob er das in seine Dokumentation mit einfliessen lassen wolle. Ja, und er wolle gern mehr über diese Sache, an der ich arbeite, wissen. Das scheint spannend zu sein. Ein guter Stoff. Es sei interessant, womit sich Geisteswissenschaftler so beschäftigen. Was denen durch den Kopf geht. Sein Gesicht ist angespannt. Er hat schmale Lippen und vermeidet es, mich anzusehen. Er nimmt die Fernbedienung, die auf einer der Umzugskisten liegt. Noch ein Film. Ein Leichenwagen fährt durch die Filmstadt Unterföhring, bleibt vor einem Wohnblock stehen. Männer tragen einen Sarg in das Haus. Einen metallenen. Sie kommen mit einem Sarg wieder heraus. Eine andere Szene, aufgenommen in einem Krankenhaus. Eine Schwester deckt ein Tuch über einen Körper. Im Schrank hängt ein Mantel. Ein Lammfellmantel. Ich frage Till, ob er die Geschichte weitererzählen wolle. Er müsse mich dann nach den Rechten am Stoff fragen. So, Rechte, sagt Till. Er hält mir eine Flasche Rotwein hin und fragt: Diese? Ja, gern, antworte ich. Er schenkt Wein in die Gläser. Die standen auf einer anderen Umzugskiste. Ich habe sie nicht bemerkt. Er reicht mir mein Glas. Wir stossen an. Auf eine gute Story, sagt er und, dass er vermute, dass es sich nicht nur um eine Story handle, sondern dass ich tatsächlich diese Morde begangen habe. Das mache seine filmische Dokumentation so spannend und neuartig. Ein neues Stilmittel im Film. Es ist nicht zu beantworten, ob es sich um eine dokumentarisch erfasste, eine zum Teil nachgestellte reale Story handle oder
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