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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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lacht, auch wenn sie ernst schaut. Die Lachfalten sind dann trotzdem da, und der goldene Glanz ihrer Haare. Lisa bestellt sich Joghurt mit Obstsalat und einen Minztee. Sie fragt mich, was ich da mache. Ich sage ihr, dass ich die Online-Ausgaben der Zeitungen nach Meldungen über Giftmorde durchsuche. Sie wolle mit mir nicht über Mord und Tote reden. Sie habe heute frei und sie müsse mir Neuigkeiten erzählen. Neuigkeiten von Peter. Ich sage ihr, dass ich sie herbestellt habe, um über Tote zu reden und dass sie ja offensichtlich an ihrem freien Tag ein Buch zu Mord und Totschlag kaufen wollte. »Experimental and Toxicologic Pathology«, sagt sie. Ich frage sie, ob Tote leere Gesichter haben. Ich sage ihr, dass ich noch nie einen Toten gesehen hätte, ausser meinem Vater, und der habe einen enttäuschten Ausdruck auf seinem Gesicht gehabt. Er muss sich alleingelassen gefühlt haben, als er gestorben ist. Enttäuscht darüber, dass ich den Ernst der Situation nicht erfasst habe, lediglich von einem vorübergehenden Schwächeanfall ausging. Woran ist er denn gestorben?, fragt Lisa. Organversagen infolge der Chemo. Lisa sagt, dass daran viele sterben, auch wenn die Chemo, was den Krebs betrifft, erfolgreich sei. Lisa zieht ihre Augenbrauen hoch, saugt Luft in die Backen, bläst sie aus und sagt unter lautem Stöhnen: Nur, dass die Onkologen das nicht wahrhaben wollen. Dabei zieht sich vom Nasenansatz eine tiefe, senkrechte Furche über ihre Stirn. Vertikal. Mit den horizontalen Furchen auf der Stirn, die weniger tief sind, bilden sie ein Kreuz. Dann prustet sie los und lacht. Weil ich nicht mitlache, beruhigt sich Lisa schnell und sagt, dass es so ist wie bei meinem Vater. Die meisten Menschen hätten den Ausdruck, mit dem sie aus dem Leben geschieden seien, auf dem Gesicht. Sie könne aber nicht sagen, ob die Menschen im Leben leere Gesichter gehabt hätten, denn man müsse davon ausgehen, dass auch Menschen mit leeren Gesichtern in der Todesphase etwas empfinden. Diese Empfindung hinterlässt dann Spuren auf ihren Gesichtern. Ich sage, dass ich das verstehe, schliesslich habe ja das Leben ihre Gesichter leergefegt und nicht der Tod. Ich frage Lisa, was der Arzt für eine Todesursache auf den Totenschein schreibt, wenn ein Mensch Symptome wie hohes Fieber, Durchfall, Erbrechen, Koliken hat und an einem Kreislaufkollaps verstirbt. Das kommt drauf an, meint Lisa. Ich frage sie, wie das mit dem Verdacht auf Fremd- und Selbstverschulden sei. Lisa will wissen wieso. Ob ich immer noch dieser verrückten Idee mit diesem Gift nachhänge, diesem Rizin, will Lisa wissen.
    Sie fischt die Pfefferminzblätter aus dem Teeglas. Ich schaue ihr zu, sage nichts. Sie ruft die Bedienung, will Honig für den Tee. Sie zieht ihre Augenbrauen hoch. Die tiefen Furchen, die das Kreuz über der Nasenwurzel bilden, tauchen auf. Sie sagt, dass es zum Glück das Zeug ja nicht zu kaufen gebe. Sie rührt den Honig in den Tee. Der Löffel klappert am Teeglas. Ich frage sie, ob sie weiss, dass über ihrer Nasenwurzel ein Kreuz entsteht, wenn sie die Augenbrauen hochzieht. Lisa lacht. Nein, dass wisse sie nicht. Sie holt einen Taschenspiegel aus ihrer Tasche und sieht sich an. Ich sehe die Rückseite des Spiegels, darauf ist ein grinsendes Schwein abgebildet. Erotisches Grinsen steht darunter. Sie schaut mich über den Spiegel an und sagt. Es stimmt. Die Furchen, die das Kreuz bilden, sind nun tiefer. Ihr Lachen wirkt diabolisch unter dem Kreuz auf ihrer Stirn. Da fällt mir gleich was dazu ein, sagt sie. Sie hätte mir doch von diesem Mann erzählt, auf der Alm. Der Mann würde Peter heissen und er schlafe jetzt jede Nacht in ihrem Bett. Aber nicht so wie du denkst, sagt Lisa. Es ist ganz anders. Irgendwie so geschwisterlich. Lisa erklärt, was sie mit geschwisterlich meint, und sagt, dass das jetzt für sie alles ganz gut sei. Ich frage Lisa, ob es sein kann, dass es niemandem auffällt, wenn Menschen an Rizinvergiftung sterben. Ob ich nicht aufhören könne davon zu reden, sagt sie. Ich antworte nein. Gut, meint sie. Jedes Jahr bescheinigen Ärzte bei 1200 bis 2400 Menschen einen natürlichen Tod. Umgekommen sind sie aber durch Straftaten oder Unfälle. Sie wolle jetzt weitererzählen, sagt sie. Peter würde ihr guttun, auch wenn er fünf Jahre jünger sei. Er helfe ihr beim Holz holen, jeden Abend würden sie zusammen kochen. Er nehme sie einfach mal in den Arm. Und sie könne von ihren Leichen erzählen und mal den Mist loswerden, den sie

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