Die Verfolgerin - Roman
gross, jetzt kann ich wieder den Urlaub geniessen, Golf spielen lernen, einen Sonntag im Bett bleiben und lesen, allein fortfahren, mich wieder meinem Beruf widmen. Ich sage: Ich kann jetzt meinem Wunsch nach einem perfekten Mord nachgehen.
Ich bin bereits zurück, als am frühen Abend der Mann kommt. Er öffnet die Haustür. Ich höre wie er seine Schuhe in der Diele auszieht, tief seufzt und sagt: War das schön. Wunderschön. Ich sage ihm, dass ich mit ihm in die Stadt fahren und eine Kleinigkeit essen und ein Glas Rotwein trinken möchte. Er habe schon bei seiner Mutter gegessen. Ganz was Gutes. Einen Krustenbraten und Kartoffelknödel. Ich schaue ihm zu, wie er sich die Strümpfe, weisse Sportsocken, von den Füssen streift, und überlege, ob ich allein in die Stadt fahren und etwas essen soll. Ich stelle mir vor, wie Pärchen und Eltern mit Kindern im ›Ganz‹ sitzen oder beim Vietnamesen und ich allein an einem Tisch. Ich könnte in eine der Studentenkneipen fahren, in denen es viele Menschen gibt, die allein speisen, dabei Zeitung oder ein Buch lesen. Ich könnte Lisa anrufen oder Emilia und fragen, ob sie mich begleiten. Ich bleibe da, weil ich in Gegenwart des Mannes sein will. Der Mann, vermute ich, will ebenfalls, dass ich da bleibe, weil er sich dann wohler fühlt. Das kann ich seinem Gesicht ablesen. Wenn ich das Haus verlasse, um allein ins Kino, zum Essen oder in ein Konzert zu gehen, dann ist diese traurige Sehnsucht in seinem Gesicht. Seine Haut spannt sich um seinen Mund, das macht einen schmerzhaften Ausdruck, den er mit einem angestrengten Lächeln wegwischen will. Ich bereite mir Gemüse und schwarze Linsen, öffne mir eine Flasche Rotwein, setze mich an die Stirnseite des grossen Eichentisches und zünde mir Kerzen an. Der Mann sitzt in seinem Arbeitszimmer vor der Webcam und telefoniert mit einem Kollegen in Seattle. Um den grossen Eichentisch ist viel Platz. Auf dem Parkett liegt ein matter Lichtschimmer. Ich kann vom Tisch aus über die Diele in das Arbeitszimmer des Mannes sehen. Ich kann ihn vor der Webcam sitzen sehen, wie er in sie hineinspricht. Er sagt: Oh yes, that’s right. Nice. Let’s do. Wait a moment. I’d like to show you some close-up shots of an open heart surgery. Der Blick durch die Diele in das Arbeitszimmer mit Mann vor dem Computer sieht aus wie ein Foto aus einer Zeitschrift für Architektur. Dafür habe ich gesorgt. Auch für den grossen Eichentisch. Den habe ich bei einem Schreiner bestellt. Eine lange Tafel, schlichtes Design, zwei Zentimeter höher als das Standardmass, weil die beiden Jungen und der Mann grösser sind als die meisten Menschen, Eiche gebürstet und gekalkt, so lautete der Auftrag. Der Schreiner liess den Tisch anliefern und der Mann sagte, als er den Tisch sah: Das hätte es nicht gebraucht. Ein Tisch aus einem Möbeldiscounter hätte es auch gemacht. Wo ist da der Unterschied? Ich habe ihm diese Frage nicht beantwortet und stattdessen schnell gesagt, dass ich den Tisch finanziere. Ich habe das Wort ›finanziere‹ gewählt, weil es sich bedeutungsvoller anhört, als hätte ich gesagt: Ich bezahle den Tisch. Der Mann lud den Schreiner ein, zu einer Brotzeit zu bleiben. Ich stellte Weissbierflaschen auf den Tisch, servierte Obatzten und frische Brezen. Der Schreiner sagte, dass die Ringe von den nassen Bierflaschen wieder verschwinden würden. Der Mann zog die Augenbrauen hoch und sagte so, so und stiess mit dem Schreiner an.
4
Montag. Die beiden Söhne sind gefahren. Der ältere hat etwas Obst mit Müsli zum Frühstück verspeist, Orangensaft getrunken, der jüngere hat einen Toast mit Tomaten und Mozzarella gegessen und einen schwarzen Kaffee getrunken. Sie sind dann zum Auto gegangen, das vor dem Haus auf der Strasse parkte – einem Leihwagen, den der Ältere gemietet hat. Der Ältere studiert in Berlin, Geografie. Er nimmt den Jüngeren mit nach Nürnberg. Der studiert dort Sportökonomie. Sie haben gesagt, dass sie die Vormittagsvorlesungen ausfallen liessen, das sei bei Vorlesungen ohnehin kein Problem. Ich mutmasste, dass sie noch andere Vorlesungen und Seminare ausfallen lassen würden, und wollte etwas sagen, unterliess es aber. Wir haben uns umarmt. Der Ältere umarmt mich sehr vorsichtig. Ich stelle mir dann immer vor, wie er wohl seine Freundinnen umarmt. Der Jüngere mag Umarmungen nicht. Das war früher anders. Als Baby lag er sonntagmorgens lange neben mir ruhig im Bett und wir genossen die Wärme unserer Haut. Der Ältere
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