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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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schauen solle. Er tat es nicht. Er schien abwesend, in einer anderen Welt, und ich verstand nicht warum. Adrian, so heisst der ältere Sohn, erklärt dem Mann, sie seien nach der Disco gegen fünf am Morgen an einem Bordell in der Bahnhofsgegend vorbeigekommen und hätten durch das Fenster geschaut. Die Nutten hätten Kaffee getrunken. Er sagt: Wir sind hineingegangen und die haben uns mit grossem Hallo begrüsst. Mit grossem Hallo, weil sie alles junge knackige Burschen gewesen seien. Die würden die Nutten wohl selten zu Gesicht bekommen. Der Mann sagt: Was? Erzähl mehr. Wir haben mit ihnen Kaffee getrunken, sagt der Sohn. Und weiter? – will der Mann wissen. Nichts. Dann sind wir wieder gegangen. Wir waren müde. So, so, sagt der Mann, steht auf, um eine weitere Flasche Bier zu holen. Er hat schon mehrere Flaschen Bier getrunken. Das Bier hat ihn locker gemacht. Als er nach Hause kam, erschien seine Statur kleiner und dünner als sonst und als er heute morgen aus dem Haus gegangen war. Etwas schien ihn zu beugen und liess ihn schleppenden Schrittes in sein Arbeitszimmer gehen. Er hat keine Kraft mehr, sich selbst zu tragen, dachte ich. Der Mann legte sich auf die Liege in seinem Arbeitszimmer und fiel in einen bleiernen Schlaf, wie er später sagte, und ich konnte ihn nicht fragen, wie viele Operationen er hinter sich hatte. Später, als ich das Abendessen kochte, duschte er und spazierte anschliessend mit einer Flasche Bier in der Hand durch den Garten, roch hier und da an einer Rosenblüte, an der Desert Island, der Charles Darwin, der Bourbon Queen, der Märchenfee.
    Trink nur auch etwas Bier, sagt er zu mir, als er aus der Küche wieder zurückkommt. Das macht dich locker. Er lächelt mir zu. Es ist Pils, was er trinkt. Das mag ich. Manchmal.
    Wenn ich mit dem Mann Sex habe, dann will ich, dass es schnell vorbei ist. Der Mann will geniessen. Er geniesst zu lange. Er ist dann nicht mehr erregt und versucht, sich in mir wieder zu erregen. Das dauert dann noch länger. Manchmal möchte ich dabei lesen oder fernsehen. Dann hätte ich auch etwas davon. Ich habe ihm vorgeschlagen, er soll es machen, wenn ich schlafe. Das wäre für mich immer noch besser, als wenn ich wach bin. Er lehnt das ab. Stattdessen besorgt er es sich selbst, neben mir, Sonntagmorgen, wenn er meint, dass ich noch schlafe.
    Nach dem Essen habe ich das Geschirr abgeräumt und in den Geschirrspüler sortiert. Ich schreibe. Dazu verwende ich einen karierten Block, nicht das Notebook. Einen Spiralblock, A4, 100 Blatt. Die gibt es beim Discounter. Im Schreibwarengeschäft gibt es nur Spiralblöcke mit 80 Blatt. Der Mann achtete anfangs genau darauf, dass ich nur das Notwendige kaufe und von dem Notwendigen nur das Billigste. Mit anfangs meine ich am Anfang unserer Ehe. Das war vor 23 Jahren. Der Mann liess sich nicht umstimmen, deshalb beschloss ich, selbst Geld zu verdienen, und schrieb Texte für ein lokales Anzeigenblatt. Das war ebenfalls vor 23 Jahren.
    Bevor der Mann ins Bett geht, sage ich ihm, dass ich im Gästezimmer schlafe. Wenn du meinst, sagt der Mann und zieht die Schultern hoch. Das sei auch schon egal. Im Gästezimmer befindet sich ein Zweimalzweimeter grosses Bett. Vom Bett aus kann ich durch die Dachfenster in den Himmel schauen, manchmal scheint der Mond auf mich und manchmal schlagen Regentropfen auf dem Glas über mir ein.

3
    Heute ist Sonntag. Der Mann ist in einen Ort namens Dorf gefahren. Wir sind, wenn er frei hatte, immer sonntags nach Dorf gefahren. Der Mann hat seine Sachen zusammengepackt: einen Rucksack, eine Wasserflasche, Brotzeit, Äpfel. Der Mann geht auf einen der Berge, die um Dorf stehen. Die Berge sind dem Ort so nah, dass im Dezember nur bis mittags die Sonne auf Dorf scheint, dann verschwindet sie hinter dem Seeberggipfel. Der Mann hat sich seinen Rucksack über die Schulter gestreift, ist in seine Turnschuhe geschlüpft. Er zieht Bergschuhe nur an, wenn er einen Dreitausender besteigt. Er sagte, dass auf den Seeberg gehen nur ein Spaziergang sei. Früher sei er dort hochgejoggt. Der Seeberg ist 1538 Meter hoch. Der Mann hat in einen Apfel gebissen und von der Diele aus ins Haus gerufen, dass er jetzt fahre. Ich hörte die Tür ins Schloss fallen. In der Diele riecht es nach dem Mann. Er riecht nach überreifen Äpfeln, die Druckstellen haben, und nach Vanille. Ich mag den Geruch des Mannes. Vielleicht mag ich wegen dem Geruch des Mannes Apfelcidre und warmen Apfelkuchen. Ich kann mich nicht erinnern, dass

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