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Die Verfolgerin - Roman

Die Verfolgerin - Roman

Titel: Die Verfolgerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: edition 8
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er. Ich verstehe nicht, was er damit meint. Ich fahre mit meinem azurblauen Twingo an diesem Sonntag in Richtung Salzburg auf der Autobahn. Ich weiss nicht, wohin ich fahren soll. Ich will unter Menschen. Viele Menschen gibt es am Rastplatz Irschenberg, wegen der Aussicht und dem amerikanischen Schnellrestaurant. Ich nehme die Ausfahrt Irschenberg, biege in die Strasse zum Schnellrestaurant ein. Das liegt auf der Kuppe eines Hügels. Wenn die Reisenden auf dem Parkplatz des Schnellrestaurants müde ihre Beine aus dem Auto fädeln, dann reiben sie sich die Augen und sagen: fantastische Aussicht. Sie meinen den Blick auf den Alpenhauptkamm. Ich fahre weiter zum Café Moarhof, eine Wirtschaft in einem Bauernhof. Es stehen viele Autos davor. Die meisten Menschen, die in den Moarhof einkehren, schauen vorher in die Wallfahrtskapelle, die neben der Wirtschaft steht. Der Eingang ist mit einer Gittertür versperrt. Im Innenraum sind Kerzen angezündet. Um den Altar herum liegen Rosen. Wie all die anderen Sonntagsausflügler gehe ich von der Kapelle zum Biergarten. Ich sitze an der Hauswand in der Sonne, höre Kuhglocken läuten, ab und zu taucht eine Kuh hinter einem Stadl auf. Am Nebentisch sitzen zwei Pärchen um die sechzig, gekleidet in Funktionswanderkleidung aus dem Sportfachgeschäft und sie tragen Markenbergschuhe mit Funktionssocken. Sicher tragen sie auch Funktionsunterwäsche und in einer der Taschen der Funktionsjacken wird eine Sonnencreme mit Bergsonnenschutzfaktor 50 und ein Handy stecken. Eine der beiden Frauen hat ihr silberblondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ein schwarzes Samtband hält es im Nacken zusammen. Die andere trägt ihr Haar offen. Die Vier unterhalten sich über ihre Kinder, die studieren. Der Mann neben der Frau mit silberblondem Haar sagt, dass sein Sohn zum achtzehnten Geburtstag einen Audi A3 und seine Tochter damals einen Mini Cooper bekommen habe. Nichts Grosses. Denn die Kinder sollen lernen, die Dinge selbst zu erarbeiten. Der andere Mann am Tisch stimmt zu. Er habe das genauso gemacht. Sein Sohn habe einen BMW der Einser-Serie geschenkt bekommen. Die Jugend braucht offene Wünsche. Das sei die Voraussetzung für Leistung, sagt er. Mit dem Auto und Freunden sei der Sohn gerade beim Segeln an der Nordsee. Ihre seien auch gerade unterwegs, sagt die Silberhaarfrau. Das Mädchen in Südafrika und der Junge beim Surfen in Dänemark. Sicher können sie von ihren Kindern auch noch sagen, dass sie BWL, Jura oder Politik studieren.
    Das könnte ich von meinen Kindern auch erzählen. Nicht das mit den Autos. Autos müssen sich die Kinder nach dem Willen des Ehemannes selbst verdienen, so wie er sich sein erstes Auto verdienen musste, was ihm nicht geschadet habe. Der Ehemann würde ebenso zu den Männern am Tisch passen, die vielleicht Abteilungsleiter bei Siemens, Rechtsanwälte mit eigener Kanzlei oder Geschäftsführer eines Unternehmens sind. Der Ehemann ist Kardiologe. Leiter des Herzkathederlabors in dem neuen Krankenhaus auf der grünen Wiese, das sich von hier nur dreizehn Kilometer linker Hand an der Strasse, die auch nach Dorf führt, befindet. Ein Lehrkrankenhaus der Ludwig-Maximilians-Universität. Eines, das neu gebaut wurde, in dem es noch Posten gab. Der Ehemann ist ausserdem Dozent und Autor von Fachliteratur. Die Bedienung kommt. Sie trägt ein Dirndl und konzentriert sich auf Bestellungen und Zahlwünsche und darauf, dass das Bestellte an die richtigen Tische kommt. Das erfordert ihre gesamte Aufmerksamkeit. Deshalb kann sie vermutlich nicht lächeln. Ich bestelle mir einen Pfefferminztee, einen Orangensaft und ein Käsebrot. Es sind alles redliche Leute, die hier sitzen, denke ich. Die beiden Männer und Frauen am Nachbartisch. Die anderen Sonntagausflügler: Frauen im mittleren Alter, Familien. Sie sehen zufrieden aus. Das liegt am Herbstlicht, das alles weich zeichnet – die Berggipfel, die weissen Wolkenschleier am Himmel, die Wiese mit den Kühen drauf, die Katze, die um die Biertische schleicht, die Menschen, die Bier trinken, Kuchen und Brotzeit essen, reden, lachen. Für einen Sonntagnachmittag an einem solchen Ort bei einem solchen Licht ist es mir zu anstrengend, in den Gesichtern zu lesen, um eine Auswahl zu treffen. Das wäre der erste Schritt, den eine Verfolgerin tun müsste. Ich fasse einen Entschluss. Das ist eine einfachere Sache für einen Sonntagnachmittag. Ich fasse den Entschluss, meinem Wunsch nachzugehen. Andere würden sagen, die Kinder sind

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