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Die Verfuehrerin

Titel: Die Verfuehrerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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ging, die Mutter zu ersetzen.«
    Sie nahm nun Chris gegenüber Platz. »Ich schätze, es wäre Ty nicht recht, daß ich Ihnen das alles erzähle. Aber Sie haben mir mit Ihren Artikeln viel Freude gemacht, und dafür möchte ich mich erkenntlich zeigen.
    Vor ungefähr neunundzwanzig Jahren, als ich in diesem Gewerbe gerade anfing- und damals war ich eben erst den Kinderschuhen entwachsen-, brachte uns ein Minenarbeiter ein Neugeborenes in das Haus, wo ich arbeitete, und ließ es bei uns Mädchen zurück, damit wir uns um den Säugling kümmern sollten. Dieser Minenarbeiter war ein übler Bursche. Niemand mochte ihn leiden. Er hätte sogar einen Blinden um sein Geld betrogen, wenn man ihm Gelegenheit dazu gegeben hätte. Nun, er brachte uns dieses Baby ins Haus, und er hatte es nicht einmal gesäubert; denn es klebte noch der Geburtsschleim an ihm, und es war ganz schwach vor Hunger. Wir schauten uns eilends nach einer Frau um, die es stillen konnte, und kümmerten uns nach besten Kräften um das Baby, solange wir es bei uns hatten.«
    »Und dieses Baby war Tynan? Wie ist der Minenbesitzer denn in seinen Besitz gekommen?«
    »Das wollte er uns nicht sagen, bis wir ihm einige Runden Whisky spendierten. Dann erzählte er uns, er habe eine hochschwangere Frau im Wald getroffen, die dort herumgeirrt sei. Sie wäre vor ihm stehengeblieben - ich bin überzeugt, daß er ihr nicht seine Hilfe angeboten hat - und habe dann das Kind ganz allein auf die Welt gebracht. Sie habe nur dieses eine Wort - Tynan - geflüstert und sei dann gestorben. Da wir den Minenarbeiter kannten, betrachteten wir es als ein Wunder, daß er nicht weggegangen war und das Kind bei der Toten zurückgelassen hatte. Aber ich vermute, er wollte einen Profit für sich herausschlagen, als er das Kind in ein Tuch einwickelte und zu uns brachte.«
    Red stand auf und sprach, mit dem Rücken zu Chris weiter: »Wir taten unser Bestes für den Kleinen; aber ein Hurenhaus ist nicht die richtige Erziehungsstätte für ein Kind. Alle Mädchen im Haus vergötterten ihn, und ich bin überzeugt, daß wir ihn nach Strich und Faden verwöhnten. Aber es gab Probleme, gegen die wir machtlos waren. Als Ty ungefähr zwei Jahre alt war, zogen wir ihm einen kleinen Anzug an und eskortierten ihn zur Sonntagsschule. Doch die Ladies von der Gemeinde scheuchten uns aus der Kirche. Sie wollten uns nicht glauben, daß Ty kein Zufallsprodukt unseres Berufes sei.«
    Red schwieg einen Moment. »Er blieb bei mir, bis er sechs Jahre alt war. Ich habe niemals jemand mehr geliebt als diesen Jungen. Er war alles, was ich hatte.«
    »Was passierte, als er sechs Jahre alt war?«
    Red seufzte resigniert und drehte sich wieder zu Chris um. »Der Minenarbeiter, der ihn gefunden hatte, kam mit einem Anwalt ins Haus, sagte, daß Tynan dem Gesetz nach ihm gehöre, und nahm ihn mit. Zwei Städte weiter stellte er Ty auf einen Tisch und versteigerte ihn an den höchsten Bieter.«
    Chris saß eine Weile still, um das Gehörte zu verdauen. Ein kleiner Junge wurde auf einen Tisch gestellt und versteigert, als wäre er ein Tier. Die Sklaverei war schon vor etlichen Jahren abgeschafft worden. »Wer - äh - kaufte ihn?«
    »Ein Farmer, der zur Ostküste unterwegs war. Zwölf Jahre lang habe ich dann nichts mehr von Ty gehört oder ihn gar gesehen. Dann war er bereits dieser große, muskulöse, gutaussehende Bursche, der er jetzt ist. Aber auch sonst hatte er sich verändert. Ich brachte ihn dazu, mir einiges mitzuteilen, was er erlebt hatte, nachdem er sich von dem Farmer getrennt hatte.« Sie hielt einen Moment inne und lächelte. »Ich glaube nicht, daß der Farmer sonderlich erfreut war über die Trennung, denn Ty hatte eine Reihe von Narben an den Beinen; und als ich ihn fragte, wo er die herhabe, sagte er, diese seien ein Andenken an die Meinungsverschiedenheiten, ob er den Farmer verlassen sollte oder nicht. Ich vermute, der Mann hatte Ty vor seinen Pflug gespannt wie einen Ackergaul. Nachdem er mit zwölf Jahren dem Bauern ausgerissen war, blieb er ganz auf sich selbst gestellt. Er reiste umher, verdingte sich als Gelegenheitsarbeiter, geriet ein paarmal in schlechte Gesellschaft, lernte den Umgang mit einem Revolver - kurz, tat alles, was Jungen in so einem Alter eben machen. Dann schien er eine Weile auf ernsthafte Schwierigkeiten zuzusteuern; aber irgend etwas brachte ihn wieder von der schiefen Bahn herunter. Ich weiß nicht, was es war oder ob es etwas Besonderes gewesen ist. Einer seiner

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