Die Verfuehrerin
und brauchte einige Sekunden, ehe sie gerade stehen und ein paar Schritte machen konnte, ohne zu taumeln. »Oh«, sagte sie, »ich glaube, so gut wie vorher werde ich nie mehr gehen können.«
Es war ein rundes Zimmer mit drei kleinen Fenstern in der Wand, die dem Bett gegenüberlag, einer Tür rechts und einem Wandschirm links. Das Bett war das einzige Möbelstück im Zimmer.
Chris bewegte sich langsam auf eines der Fenster zu. Darunter sah sie nur einen dichten Wald. Kein Baum schien hier geschlagen worden zu sein, kein Unterholz gelichtet. Und als sie in die Tiefe sah, bemerkte sie, daß ihr Zimmer mindestens drei Stockwerke über dem Boden lag.
»Wie ich sehe, ist die Flucht aus diesem Zimmer ein Kinderspiel«, meinte Pilar mit einem schiefen Grinsen, als sie hinter dem Wandschirm hervorkam und die Baumwipfel vor dem Fenster bemerkte. Sie blieb vor dem mittleren Fenster stehen und drehte Chris das Gesicht zu. »Sehe ich auch so schlimm aus wie du?«
»Noch viel schlimmer«, gab Chris ihr ernsthaft zur Antwort.
Pilar seufzte tief, ging zum Bett zurück und schob sich ein Kissen in den Nacken. »Hast du vielleicht eine Ahnung, was das alles bedeuten soll?«
»Nein«, rief Chris hinter dem Wandschirm. »Ich hoffte, du würdest es wissen. Hat man denn nichts zu dir gesagt, als du aus deinem Häuschen entführt wurdest?«
Pilar wartete, bis Chris wieder hinter dem Wandschirm hervorgekommen war. »Ich denke, du weißt mehr als ich. Tynan muß einen Grund gehabt haben, daß er sich bei Hamilton als Gärtner bewarb, nur hat er ihn mir nicht verraten.«
»So? Du bist einfach mit ihm zusammengezogen, als er den kleinen Finger hob und winkte?«
»Ich war ihm einen Gefallen schuldig - genauer gesagt mehrere. Hör mal - wollen wir jetzt wieder Katz und Maus spielen oder in dieser Sache Zusammenarbeiten? Ich hätte mich nämlich gern schlau machen wollen, was und wer hinter dieser Entführung steckt, aber wenn du dich mit mir wegen einem Mann streiten möchtest, sag mir Bescheid, damit ich aussteigen kann.«
»Ich habe keinen Grund, mich mit dir wegen Mr. Tynan zu streiten. Für mich ist er gestorben. Er gehört dir.«
Chris tat so, als bemerkte sie Pilars kritischen Blick unter hochgezogenen Brauen nicht. »Ich bin Reporterin und schreibe unter dem Namen Nola Dallas für Zeitungen. Ich ging nach...«
»Die Nola Dallas? Die sich in Schwierigkeiten bringt, damit sie darüber berichten kann?«
Pilar streckte Chris ihre Rechte hin. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Handelt es sich um eine Ihrer Eskapaden, und können wir damit rechnen, daß jeden Moment ein Retter kommt, der uns aus den Händen dieser Schurken befreit?«
Chris lächelte schwach. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich Ihnen reinen Wein einschenke.« Und nun erzählte sie Pilar alles von dem Moment an, als sie die sterbende Diana Eskridge neben der Leiche ihres Mannes Whitman fand, bis zu dem Augenblick, wo Tynan zu ihr sagte, daß sie in einer Stunde Hamiltons Haus verlassen würden.
Pilar setzte sich im Bett auf und umklammerte mit beiden Händen ihre Knie. »Ich glaube, Ty hat etwas in Hamiltons Haus entdeckt. Jede Nacht ist er nämlich davongeschlichen und stundenlang weggeblieben, und eines Nachts kam er mit einem großen Buch unter dem Arm zurück, über dem er dann bis zum frühen Morgen saß. Aber bis ich ihm das Frühstück gemacht hatte, war es verschwunden, und ich habe es danach nie mehr gesehen.«
»Was war das für ein Buch?«
»Eines mit Zahlen. So eines, wie Red es hat. Sie wissen schon.«
»Red?« fragte Chris. »Meinen Sie damit die Bekannte von Tynan, die in der Stadt...«
»...diese Hurenhäuser hat, ja.« Pilar blickte Chris mit schmalen Augen an. »Die Häuser, wo ich arbeitete.«
»Oh«, war alles, was Chris dazu zu sagen wußte.
Natürlich würde sich Tynan so eine Art von Frau als Gattin wünschen- oder als angebliche Gattin, oder was sie sonst darstellte. Sie kehrte mit ihren Gedanken wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Vielleicht ist das der Grund für unsere Entführung, daß Tynan ein Kontobuch aus Hamiltons Büro gestohlen hat. Es könnte aber auch... Haben Sie schon mal von Del Mathison gehört?«
Pilar lächelte schwach. »Das ist freilich einige Jahre vor meiner Zeit gewesen; aber ich habe Geschichten über ihn gehört. Ein Haus hat ihm am Tag vor seiner Hochzeit ein großes Abschiedsfest gegeben.«
Christianas Mund wurde schmal wie ein Strich. »Mathison ist mein Vater.«
»Das tut mir leid«, sagte
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