Die verfuehrerischen Vier
ich wirklich froh, dass ich sie nicht über Tyler aufgeklärt hatte. Das hätte seine Anziehungskraft mit Sicherheit nur gesteigert. Stattdessen würde die Sache folgendermaßen weiterlaufen: Yoli würde ihm heute irgendwo begegnen, wie er gerade mit einer anderen rumknutschte, genau so wie mit dem Mädchen am Strand, und dann würde sie ihn sich hoffentlich aus dem Kopf schlagen. Damit würde sich das Problem ganz von selbst lösen.
»Warum nicht, Yoli?«, fragte ich. »Es ist so abartig. Du benimmst dich wie Killian. Das passt nicht zu dir.«
»Tu ich nicht!«, fauchte sie. »Ich hab es nur satt, dass jeder meint, ich sei noch ein kleines Mädchen. Das stimmt nämlich nicht.«
Herrlich, wie sie glaubte, Letzteres betonen zu müssen, als wäre mir das nicht klar. »Okay«, sagte ich. »Aber kannst du dein Image nicht mit einem anderen Typ aufpolieren? Du und Killian, ihr verderbt uns die ganze Reise.«
Yoli riss die Augen auf. Ihr Mund sah aus, als wolle sie etwas Bedeutendes sagen, aber außer » Pu! Danke, Fee« kam nichts heraus.
Schweigen.
Nagelpulen.
Schließlich sagte Yoli: »Hör mal, ich weiß, dass ihr Tyler für einen Arsch haltet, das stimmt aber nicht. Er war nämlich ganz lieb zu mir und ich möchte ihn wiedersehen.«
Tja, dann lag es beim Schicksal. Das Problem war nur … wir alle hatten ja neulich auf dem Rummel einen kurzen Blick auf das Schicksal werfen können. Und nachdem sich Yoli nun auf einmal als gespaltene Persönlichkeit rausstellte, wollte ich auf jeden Fall, dass sie heil wieder zu Hause ankam.
Ich schloss die Tür und durchsuchte die Fächer nach etwas zum Anziehen. Ich wusste nicht, was es in St. Thomas zu sehen gab, aber eines wusste ich: Ich hatte die Nase voll von der ganzen Geschichte und wollte allein losziehen.
Tag 5, 10.00 Uhr
St. Thomas, Amerikanische Jungferninseln
Das passte Yoli gar nicht, aber inzwischen war es mir völlig egal. Wenn Killian und Yoli unsere letzten Wochen miteinander vermasseln wollten, indem sie sich um einen Idioten stritten, war das ihre Sache. Ich hätte ja gerne zu verhindern versucht, dass die Sache zwischen ihnen in einem Dritten Weltkrieg ausartete, aber das war unser letzter Anlaufhafen, und ich wusste nicht, wann ich wieder so eine Reise machen konnte. Ich wollte sie genießen, solange ich noch konnte. Wie Raul gesagt hatte.
Ich ging am Informationsschalter des Schiffes vorbei, um eine Vorstellung zu bekommen, was man in Charlotte Amalie, dem Haupthafen von St. Thomas, ansehen konnte. Die Frau hinter dem Schalter, die ein bisschen wie meine Mutter aussah, machte ein paar Vorschläge und gab mir eine Menge Lesematerial mit. Ich hörte nicht so recht zu. Ich dachte nämlich dauernd an meine Mutter und was sie jetzt wohl gerade machte, zum Beispiel Basilikum aussäen. Oder sie machte sich ihren Shake aus überreifen Mangos oder sie rief im Büro an, um zu erfahren, wie die Lage dort war, ehe sie gegen Mittag dort aufschlug.
Ich dankte der Frau und folgte dem Licht am Ende des Gangway-Tunnels in die Welt nach draußen. Ein heißer Windstoß wärmte mir das Gesicht und in dem hellen Sonnenlicht
wurde ich gleich fröhlicher. Ich hatte nicht erwartet, dass irgendwas noch schöner sein könnte als Tortola, aber St. Thomas überholte meine Erwartungen schnell. Unten am Kai war eine Band und spielte einen Song von den Beatles. Einer der jüngeren Drummer lächelte mir zu, als ich vorbeiging. Ich lächelte zurück.
Die Dame an der Auskunft hatte mir geraten, eines der Taxis zu nehmen, die draußen warteten. Eene meene miste … Ich wählte ein schönes weißes aus und schlenderte auf den Fahrer zu, der am Wagen lehnte.
»Guten Morgen, Miss«, sagte er, faltete seine Zeitung zusammen und klemmte sie unter den Arm. »Wo soll’s heute denn hingehen?«
Ich warf einen Blick auf die Broschüren und versuchte mich an die Tipps der Frau zu erinnern. »Erst auf den Berg, damit ich die Aussicht anschauen kann, und anschließend in die Stadt.« Dort konnte ich mir dann ein anderes Taxi suchen, das mich zur Coral World bringen würde, der Hauptattraktion von St. Thomas.
»Shopping, Shopping«, trällerte er und hielt mir die hintere Tür des Taxis auf.
Augenscheinlich fühlte sich der Typ wohl auf seinem Fahrersitz, umgeben von Zeitungen, Stiften, Fotos, Perlen und sonstigen Sachen. Als er losfuhr, bekam ich fast einen Herzanfall, weil er auf der falschen Straßenseite fuhr. Typisch für mich, auf einen Fahrer zu stoßen, der jeden Augenblick einen
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