Die Verführung der Arabella Fermor: Roman (German Edition)
er das Geheimnis. Aber dann klärte sich Alexanders Gesicht, und Caryll war überzeugt davon, dass er keinerlei Verdacht geschöpft hatte. Er beschloss, Alexander nicht zu erzählen, was wirklich passiert war. Schließlich konnte man Dichtern die Wahrheit nicht anvertrauen. Er wusste, Alexander sehnte sich nach Ruhm – womöglich wäre er versucht, aus der Geschichte einen Skandal zu machen -, und genau das hoffte Caryll zu vermeiden. Wohlwollend blickte er Alexander erneut an. Seine Furcht war unbegründet: Alexander hegte keinen Verdacht.
Es kostete Alexander drei Wochen, die erste Fassung des Gedichtes auszuarbeiten. Stunden verbrachte er in seinem Zimmer, schottete sich gegen alle Geräusche ab, die ihn dauernd abzulenken drohten: das Hausmädchen, das mit ihren Wischlappen und Besen die Treppe herauf- und hinuntertrabte, der Koch und der Küchenjunge, die sich draußen im Hof dauernd etwas zuriefen, seine Mutter, die von einem Zimmer zum anderen mit seinem Vater redete. Er unterbrach seine Arbeit lediglich für die Mahlzeiten, dankbar, einen Grund zu haben, die Feder hinzulegen, und doch bestrebt, an seinen Schreibtisch zurückzukommen, sobald er sie hinter sich hatte. Die schlimmsten Momente der dichterischen Gestaltung waren immer die am Anfang eines Verspaares, wenn er nichts hatte als zwei Wörter oder das Bruchstück eines Satzes, die er zu Reimen formen wollte. Krampfhaft suchte er in seiner Erinnerung, welche Gedanken er sich gemacht hatte, als Martha ihm die Sache zuerst beschrieb. Er schritt im Zimmer auf und ab, lag immer wieder lange auf dem Bett, las seine Zeilen immer und immer wieder, bis sie schier keinen Sinn mehr zu haben schienen. Als er den ersten Gesang des Gedichts beendet hatte und am zweiten zu arbeiten begann, da merkte er, dass er nicht mehr wusste, welche der Zeilen spaßig gedacht waren, als sie ihm einfielen. Und er wünschte, er hätte die Worte markiert, die er als besonders schöpferisch empfunden hatte.
Jeden Tag unternahm er mit seinem Vater lange Spaziergänge, aber während sie draußen waren, kramte er in Gedanken ständig nach neuen Ideen oder versuchte er, alte in der Erinnerung heraufzubeschwören.
Eines Morgens fragte Alexanders Vater, um was es in seinem neuen Gedicht denn ginge.
»Oh, es ist eine Satire, Sir«, antwortete Alexander und fürchtete die Reaktion seines Vaters auf diese Mitteilung. »Über den Hof und die Herren und Damen der mondänen Welt«, fügte er hinzu in der Hoffnung, diese Beschreibung werde das, was er kommen sah, ein wenig abmildern.
»Eine Satire!« Sein Vater war verblüfft, und Missfallen schwang in seinen Worten. »Du hast mir erzählt, du wolltest eine geistliche Hymne mit dem Titel Messias schreiben.«
Pope zögerte. Ihm fiel ein, dass er ein solches Gedicht in seinem Brief erwähnt hatte, als er darum bat, länger in London bleiben zu dürfen. Er hätte nie gedacht, dass sein Vater auch nur das geringste Interesse hatte an dem, was er tat – aber er hätte sich denken können, dass er sich an ein solches Detail erinnerte.
»Ich habe auch schon an dem Messias geschrieben, Sir«, sagte er, bemüht, nicht schuldbewusst zu klingen. »Aber Mr. Caryll hat mich gebeten, die Arbeit daran zu unterbrechen und die jetzigen Verse zu schreiben. Sie sollen dazu beitragen, zwei katholische Familien wieder miteinander zu versöhnen.«
»Mr. Caryll!«, rief Alexanders Vater. Er hielt inne und sagte dann in versöhnlicherem Ton: »Der würde dich zu nichts Schlechtem ermuntern.« Wieder eine Pause, und dann: »Wer sind denn die beiden Familien?« Alexander wusste, dies war seine Trumpfkarte: »Die Petres und die Fermors«, sagte er. Sein Vater nickte, sichtlich beeindruckt durch die Namen. Alexander schmunzelte in sich hinein, spürte aber doch Gewissensbisse.
Und gewissermaßen als kleines Bußopfer beschloss er, etwas preiszugeben, was er eigentlich für sich hatte behalten wollen. »Ich habe mir überlegt, Sir«, fing er an, »beim Nachdenken über alles, was ich getan und gesehen habe, während ich in London war, dass ich doch nicht so recht in diese städtische Welt passe. Ich bezweifle auch, dass ich es je tun werde. Ich bin so ganz anders als Charles Jervas und Richard Steele – und als Lord Petre natürlich.«
»Na ja, du bist eben nicht der Sohn eines Barons, das stimmt nun mal«, erwiderte sein Vater.
Alexander blickte ihn verdutzt an und sah, dass sein Vater peinlich berührt war – und dem Blick seines Sohnes auswich. Bis zu diesem
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