Die Verführung der Mrs. Jones
sie warten, bis Katharina wieder auf Empfang war, und sich von ihr seine Kontaktdaten geben lassen. Sie blickte nach draußen; es wurde hell. Wie es Thomas wohl ging? Sie musste sich bei ihm entschuldigen. Aber erst einmal würde sie versuchen zu schlafen. Gut, dass sie noch einen Tag Urlaub angehängt hatte, das machte sie nach Reisen immer so.
Der Mittwoch verging, ohne dass sie Katharina erreichen konnte oder dass sich Max meldete. Sandra versuchte, sich abzulenken, und verordnete sich ein kleines Kulturprogramm: Antikmarkt, Galeriebesuch, Kino. Doch es nützte nichts. Reto ging ihr nicht aus dem Kopf. Es war ja ein klassisches Thema der Literatur, dass sich Männer in käufliche Damen verliebten, und das ging zumeist böse aus. Aber umgekehrt? Und: War sie denn überhaupt verliebt? Sie wusste es nicht. Widerstrebende Gefühle rangen in ihr um die Vorherrschaft. Was faszinierte sie so an dem Gigolo aus Zürich? Wollte sie wirklich den Mann hinter der Gentleman-Fassade kennenlernen? Vielleicht verbrachte er seine Freizeit im gerippten Unterhemd bei Dosenbier und Chips vor dem Fernseher. Nein, natürlich nicht. Retos Stil war nicht aufgesetzt. Wahrscheinlich hatte er bereits die nächste Kundin am Start, und sie war schon längst Vergangenheit, eine Position auf der Rechnung, eine Notiz für den Steuerberater. Wie auch immer, sie musste sich damit abfinden, dass sie eine rein geschäftliche Beziehung gepflegt hatten. Sandra seufzte. Es war anzunehmen, dass sie am Donnerstag Thomas in der Redaktion begegnen würde. Da war es besser, sich vorher mit ihm auszusprechen. Sie sah auf die Uhr. Es war schon nach halb zwölf. Vielleicht hatte sie ja Glück, und er war noch wach.
„Thomas? Hier ist Sandra. Schläfst du schon?“
„Nein“, antwortete eine schlaftrunkene Stimme, „jetzt zumindest nicht mehr.“
„Oh, tut mir leid.“ Ich bin ein Esel, dachte Sandra.
„Was tut dir leid?“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang jetzt munterer. Sandra überlegte nur kurz.
„Alles. Die Übersprungshandlung, wie du es genannt hast, und dass ich dich geweckt habe.“
Pause.
„Thomas? Bist du noch da?“
„Allerdings.“
„Wollen wir uns morgen Vormittag zum Frühstück treffen? Ich bin morgen wieder in der Redaktion. Was meinst du? Ein bisschen reden?“
„Bei mir oder bei dir?“ Thomas schien an dem Gespräch Gefallen zu finden, Sandra konnte ihn leise lachen hören.
„Ich dachte, irgendwo, na ja, wo du mit deinem Humpelfuß hinkommst. Bei dir an der Torstraße ist doch alles voll mit Cafés.“
Sie hörte ein leises Grunzen und musste grinsen. Dieser Thomas war wirklich lustig, und er schien zum Glück auch nicht nachtragend zu sein.
„Warte mal.“ Sie hörte etwas rascheln, dann war er wieder am Hörer.
„Es gibt da ein neues Gartenlokal … steht hier in der Zeitung … direkt an der Spree. In Kreuzberg, muss sehr nett sein. Entweder da, und du chauffierst mich, oder du wagst dich in die Höhle des Löwen. Ich hätte gerne zwei Croissants, wenn’s geht. Neun Uhr ist super. Gute Nacht.“
„Nacht.“ Sandra legte auf.
Der Blick aus dem Fenster machte am Donnerstagmorgen die Entscheidung leicht: Es regnete wie aus Eimern. Sandra nahm es gelassen und kochte sich einen Kaffee. Um neun zu frühstücken, war die eine Sache, bis dahin nichts zu essen, die andere. Sie nahm sich einen einsamen Joghurt aus dem Kühlschrank und setzte sich an ihren Laptop. Da war eine Nachricht von Max. Elektrisiert öffnete sie ihr Postfach. Er schrieb:
Guten Morgen, schöne Frau,
freue mich sehr, von Dir zu lesen – auch wenn Dein Interesse ja leider nicht mir gilt. Nun, ich werde darüber hinwegkommen … ;-) Was Reto betrifft, so habe ich ihn nicht mehr gesehen, seitdem er mir das Päckchen für Dich gegeben hat (ich hoffe, Du verzeihst mir, dass ich Deinen Koffer geöffnet habe). Er sagte, er wolle ein paar Tage ausspannen. Er sah müde aus, irgendwie. Was hast Du mit ihm gemacht? Du scheinst ihn sehr beeindruckt zu haben …
Bitte versteh mich, wenn ich Dir nicht seine Kontaktdaten gebe. Ich werde ihm aber sagen, dass Du Dich gemeldet hast. Versprochen.
Schöne Grüße aus Lugano von Max.
Sandra zog die Stirn kraus. Das war ja wirklich eine sehr oberflächliche Mail. Na schön. Vielleicht war Max so etwas wie ein Fanpostbeauftragter und musste sich ständig mit irgendwelchen Damen herumschlagen. Aber war sie einfach nur irgendwer? Doch hoffentlich wohl nicht! Sie beschloss, nicht auf
Weitere Kostenlose Bücher