Die Verführung der Mrs. Jones
über die wir berichten wollten, nicht ran. Allein mit Archivmaterial zu arbeiten und dem, was Thomas vor seinem Unfall fotografiert hat, reicht nicht. Also. Punkt eins. Ich fliege morgen zurück. Wir verkleinern die Strecke um die Hälfte.“
Astrid sah Sandra an. „Na toll, das kann ja heiter werden.“
„Punkt zwei, Sandra. Glaubst du, Lugano gibt mehr her als nur Genuss? Umland, Architektur, blabla? Was meinst du?“
Sandra überlegte.
„Was hältst du von einem Sonderthema, so was wie ‚Die schönen Nachbarorte von Lugano.ʻ Alles, was man in einer Stunde Fahrtzeit erreichen kann. Como zum Beispiel.“
Der große Kopf auf dem Bildschirm nickte.
„Sehr gut. Da bin ich beruhigt. Sandra, buch dir einen Flug, wenn’s geht, gleich für morgen. Hamed, du recherchierst für Sandra. Astrid, du kontaktierst Thomas und sichtest sein Material. Du und Hamed und ich, wir sprechen uns Montagmorgen. Sandra, gute Reise.“
Der Bildschirm wurde dunkel.
„Kommt so etwas öfter vor?“, fragte Sandra. Astrid schüttelte den Kopf.
„Selten. Wenn Katharina eine Geschichte schmeißt, hat das seinen Grund. Schließlich kriegt sie den Einlauf, wenn das Thema abkackt.“
Sandra nickte und sah auf die Uhr. Kurz nach zwei. Es gab noch viel zu tun.
Keine 24 Stunden später stieg Sandra aus der kleinen Maschine, die nur zwanzig Minuten brauchte, um von Zürich nach Lugano zu fliegen. Sie hatte sich noch von der Redaktion aus ein bescheidenes Quartier in Zentrumsnähe, direkt am See besorgt und gönnte sich nun ein Taxi, um dort hinzugelangen. Ausgestattet mit Hameds Listen und ihrem Laptop, bezog sie Quartier in der Villa Anna.
Nicht einmal eine Woche war vergangen, seit sie zum ersten Mal diese Stadt besucht hatte, und die Vorzeichen, unter denen sie nun hier war, waren vollkommen andere. Sandra saß auf der Terrasse des Hotels und trank Kaffee. Vor ihr lag der See, sein Wasser glatt wie ein Spiegel, eingebettet in eine üppige Vegetation. Boote zerschnitten die spiegelnde Wasserfläche, die Sonne malte dunkle Schatten an die Hauswände. Es war Sommer. Kurzentschlossen streifte sie Shorts und T-Shirt ab und hangelte sich an der Treppe hinab, die von der Terrasse direkt in den See führte. Mit gleichmäßigen Zügen schwamm sie hinaus, genoss das weiche, klare Nass. Von hier aus konnte sie das Grandhotel sehen. Im Garten waren wieder einmal weiße Zelte aufgebaut. Sandra fühlte einen Stich in ihrem Herzen. Dieser Abend mit Reto, der erotische Zwischengang im Badepavillon … Vielleicht sollte ich noch einmal von vorn anfangen, dachte sie, vielleicht sollte ich noch einmal Black Jack spielen.
Das Kasino war gut besucht. Sandra steuerte auf den Tisch zu, an dem sie schon einmal gespielt hatte, und begrüßte die Gäste, die bereits dort saßen. Der Croupier schien sie wiederzuerkennen, er nickte ihr aufmerksam zu. Sandra machte ihre Einsätze, studierte die Mitspieler.
„Mrs. Jones.“
Sandras Hände zitterten, sie ließ die Karten sinken. Es waren die Worte, die sie so sehr zu hören gehofft hatte heute Abend. Sein Atem war ganz nah an ihrem Ohr.
„Machen Sie mir die Freude und begleiten mich zur Bar.“
Sie stand auf, verlegen irgendwie, steckte ihre Chips ein und legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Was machen Sie hier?“, wollte Reto wissen, es klang ernsthaft interessiert. Er bestellte zwei Gläser Champagner und half ihr, auf dem Barhocker Platz zu nehmen. Sie wusste, sie machte auf ihren High Heels nicht den besten Eindruck. Sie war einfach ungeschickt. Reto tat, als bemerke er es nicht. Er stellte sich dicht neben sie und reichte ihr ein Glas.
Sandra sah ihn an, auf einmal scheu. Sosehr sie sich über das Wiedersehen freute, so groß war auch die Furcht, der Zauber zwischen ihnen wäre vorbei.
„Nun?“ Reto zog seine Stirn in Falten.
„Uns ist ein Reisethema geplatzt. Ich bin zurückgekommen, um die Umgebung zu erkunden. Das Motto lautet Tagesausflug“, erklärte sie wahrheitsgemäß. „Und Sie?“ Sandra spielte an dem Glas herum. Reto lachte. Eine leichte Röte huschte über sein ebenmäßiges Gesicht.
„Es hört sich an wie eine Schallplatte, aber es ist so: Ich habe zwei Tage frei und muss danach wieder arbeiten.“ Er schenkte ihr einen langen Blick. „Sie glauben mir nicht, habe ich recht?“
Sandra hatte sich gefangen, der Moment der Unsicherheit war vorüber. Sie legte den Kopf schief und betrachtete Reto nun ganz ungeniert.
„Um ehrlich zu sein, ich weiß überhaupt nicht, was
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