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Die Verfuehrung Des Ritters

Die Verfuehrung Des Ritters

Titel: Die Verfuehrung Des Ritters Kostenlos Bücher Online Lesen
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Stiefel anzuziehen. Gwyn saß auf der anderen Seite des Bettes und schlüpfte in ihre Schuhe. Griffyn spürte, wie sich das Bett mit jeder ihrer Bewegungen hob und senkte. Die Matratze wurde auf seiner Seite von seinem Gewicht niedergedrückt, als Gwyn aufstand. Er blickte über die Schulter.
    Sie hatte ihm den Rücken zugewandt. Die weiten Ärmel ihres Überkleides glitten bis zu den Oberarmen hoch, als sie versuchte, ihr Haar zu ordnen.
    »Tut das nicht.«
    Sie ließ die Hände sinken und ging zur Tür. Bis zum Aufgang, der zum Dach führte, war es nicht weit. Die Nacht war klar, die Luft frisch und kühl. Griffyn hielt Gwyn die Tür auf; sie schlüpfte unter seinem Arm hindurch und betrat den Wehrgang der nördlichen Festungsmauer.
    »Ich fühle mich Gott näher, wenn ich hier oben bin«, raunte sie und zog ihren Umhang enger um ihre Schultern.
    Während sie gingen, glitt Griffyns Hand über die Mauer. Er spürte das kalte Mauerwerk unter seinen Fingern. Everoot war eine gute Burg. Ein gutes Zuhause. Er ließ den Blick über die offene Ebene schweifen. Von West nach Ost erstreckte sich in der Ferne ein dunkles Band. Dort begann der Wald. Aber die Baumreihen lagen weit entfernt, und davor erstreckten sich Felder und Wiesen, die in der Dunkelheit braun und rostrot wirkten.
    Unterhalb des Hügels, auf dem seine Leute kampierten, erkannte er die dunklen Erhebungen der Häuser des Dorfes. Er glaubte, auch das Haus ausmachen zu können, das am weitesten
    entfernt war - die Apotheke. Als er noch ein Junge war, war dieser Laden einer seiner liebsten Orte gewesen. Der Stall und die Blutegel, dachte er. Pferde und Kräuter.
    Plötzlich erinnerte Griffyn sich wieder. Er war noch ein Kind und auf dem Heimweg von einem Ausritt gewesen. Er ritt seine geliebte Ponystute Rebell, und sein Hund Thor lief neben ihnen. Der Herbstabend duftete nach Heidekraut und nach Tannennadeln, und ein beißender Salzgeruch wehte vom Meer herüber. Er hatte herumgetrödelt, auch dann noch, als der Himmel sich verdunkelte. Sein Vater würde wütend werden, und seine Mutter würde sich um ihn sorgen. Aber Griffyn wendete sein Pony noch nicht, obwohl er genau wusste, welchen Ärger er sich einhandelte.
    Er war damals acht Jahre alt und entdeckte gerade erst seine Welt. Sein Vater hatte ihn gezeugt, seine Mutter hatte ihn geboren. Aber es war dieses Land, das ihm im Blut lag.
    Am Fluss hatte er seinem Pony eine Pause gegönnt. Griffyn glaubte, noch immer Rebell unter sich zu spüren, das Gefühl des schmalen Rückens zwischen seinen Knien. Das Pony hatte von dem eiskalten Wasser getrunken, und Thor hatte es ihm nachgemacht. Der Hund war ins Wasser gesprungen und hatte seinen Spielgefährten nassgespritzt, hatte gebellt und war um das schneeweiße Pony herumgetänzelt. Rebell hatte den Störenfried nur mit den dunkelbraunen Augen angesehen, bevor es mit einem Hufschlag das Wasser aufgewirbelt hatte. Der Hund jaulte aufgeregt. Er hatte einen ordentlichen Schwall Wasser abbekommen und war klatschnass. Griffyn hatte laut gelacht. Er erinnerte sich jetzt daran, welcher Gedanke ihm damals durch den Sinn gegangen war: dass sein Leben in diesem einen Augenblick vollkommen war und dass es nie wieder so sein würde.
    »Ich fühle mich Gott auch näher, wenn ich hier oben stehe«, sagte er schließlich.
    In seinen Worten schwang eine Sehnsucht mit, die Gwyn aufblicken ließ. Sie sagte kein Wort. Sie gingen von Westen nach
    Osten über den Wehrgang und schwiegen. Die Wachen, an denen sie vorbeikamen, nickten stumm, und das einzige Geräusch, das sie hörten, war der Wind, der seufzend gegen die Steinmauer prallte. Eine Eule flog von einem Baum auf und setzte einem Hasen nach, der über das Feld floh.
    In stummem Einverständnis blieben Griffyn und Gwyn an einer Zinne stehen. Der Wind zerrte an ihren Umhängen. Der Mond würde bald untergehen. Etwas Kraftvolles ging von dieser Nacht und dem Mann aus, der neben ihr stand. Gwyn ließ ihren Blick über die Hügel gleiten, die sich am Horizont erhoben. Hügel, von denen sie immer gedacht hatte, sie gehörten ihr.
    Es hatte eine Zeit gegeben, da sie nicht darüber nachgedacht hatte, was vor ihr gewesen war, wie viele Mensehen schon über dieses Land geschaut und gesehen hatten, was sie sah. Menschen, die gefühlt hatten, was sie fühlte. Es hatte keine Vergangenheit gegeben, keine Verbindung zu etwas Althergebrachtem oder zu anderen Menschen. Was damals war, hatte schon immer Bestand gehabt. Aber inzwischen hatte sich

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