Die Verfuehrung Des Ritters
Sommer unendlich lang und de l'Ami sein »Onkel« gewesen war. Der immer lachende Ionnes de l'Ami hatte Griffyns Bestimmung gekannt, und er hatte sich mehr um ihn gekümmert als sein eigener Vater. Er hatte Griffyn einige seiner frühesten Lehrstunden erteilt: wie man ein Schwert handhabte, wie man eine Ente schnitzte.
Wie wichtig es war, über sich selbst lachen zu können.
Eidbrecher.
Lügner.
Verräter.
Griffyns Hand glitt zu dem Schlüssel, den er um den Hals trug. Dein Erbe. Es tut mir leid, hatte Griffyns Vater noch geflüstert, dann war er gestorben. Es war an der Zeit gewesen. Höchste Zeit.
In den letzten Jahren seines Lebens hatte sein Vater an einer fast wahnsinnigen Raserei gelitten, die schrecklich und unfassbar gewesen war. Und seine Gewaltausbrüche waren noch schrecklicher und unfassbarer gewesen.
Griffyn hatte keine Zeit mehr für die Wutanfälle alter Männer, die von ihrer Gier und ihrer Arglist getrieben wurden. Everoot war sein Erbe, und das kleine eiserne Gewicht um seinen Hals war bestimmt nicht der Schlüssel zur Burg. Sein Name und sein Schwertarm waren es, die ihm Zugang zur Burg verschaffen würden. Er war es leid, dass sich ihm Leute in den Weg stellten.
Er verspürte den Wunsch, mit der Faust gegen die Wand zu schlagen. Stattdessen strich er sich durch das Haar und beugte sich vor. Seine Ellenbogen gruben sich in die Knie. Was sollte er tun? Ionnes de l'Ami war tot. Sollte er jetzt Vergeltung an einer Frau üben, die ein Kind von zwei oder drei Jahren gewesen war, als ihr Vater den Verrat begangen hatte?
Und wohin führt das?, fragte Griffyn sich niedergeschlagen. Selbst wenn er sie bestrafte - sie war nicht diejenige, die ihm vor so langer Zeit so sehr wehgetan hatte.
Er starrte auf seine geballten Fäuste.
Jede Wahrheit, an die er je geglaubt hatte, jeder Mensch, dem er vertraut und jede Lektion, die er gelernt hatte, schien plötzlich falsch zu sein. Wie konnte sie eine Ausnahme ein?
Jeder wurde von diesem Seelengift verseucht. Jeder, der von dem geheiligten Schatz in Everoots Kellergewölbe wusste, zeigte irgendwann sein korruptes, verdorbenes, zerstörtes Ich.
Und diese Überlegung führte ihn direkt zu Marcus fitzMiles. Endshire schnüffelte unter Everoots Röcken herum, war es nicht so? Wenn sich selbst die besten Männer als bestechlich und gierig erwiesen, dann war Marcus nicht mehr als ein Wurm im Dreck. Sollte er ruhig versuchen, die Festung zu erobern. Sie verfügte über Verteidigungsmöglichkeiten, wie Marcus sie sich nicht hätte träumen lassen.
Griffyn richtete sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick verengte sich, als er in die Kerzenflamme starrte. Der alte König Henri hatte Marcus'
Vater Miles die Freiherrenwürde verliehen, weil der gerissene Hund von König genau gewusst hatte, wie wichtig es war, seine Feinde stets im Blick zu haben. Ein kluger Schachzug. Aber vermutlich nicht klug genug.
Nach dem Vater hatte der Sohn der Tochter des alten Königs als dessen rechtmäßige Thronnachfolgerin mehrfach seinen Eid geleistet, ebenso wie auch der Rest der englischen Nobilität. Aber dann, als es seinen Zwecken diente, hatte sich Marcus König Stephen zugewandt. Wie die anderen Edlen des Reichs. Und als es später wieder seinen Zwecken diente, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, schöne Frauen gefangen zu nehmen und seine Schatzkammer aufzufüllen.
Henri fitzEmpress würde schon bald kommen und sich das Land zurückholen, das sich Männer wie d'Endshire angeeignet hatten. In diesem Moment fasste Griffyn den Entschluss, darum zu bitten, bei der Vorhut mitzureiten, wenn die Armee gen Norden zog und fitzMiles' Bergfried in Brand setzte.
Sein Blick glitt wieder zu der schlafenden Schönheit in seinem Bett. Wann hatte er das letzte Mal aus tiefem Herzen gelacht? Wann zuletzt hatte wahre, vollkommene Leidenschaft sein Blut zum Rauschen gebracht, hatte sein Kopf sich so leicht angefühlt? Wann zuletzt hatte ihn eine Frau verwirrt, fasziniert oder beeindruckt?
Nicht ein einziges Mal in seinem ganzen verfluchten Leben.
Er würde d'Endshires Burg bis auf die Grundmauern niederbrennen.
Einige Zeit später, während er sie aus halb geöffneten Augen beobachtete und seine Gedanken sich weit von seiner nächtlichen Wache an ihrem Bett entfernt hatten, flatterten ihre Lider, und sie öffnete die Augen.
17. KAPITEL
Das Krachen eines Donners weckte sie. Gwyn schlug die Augen auf. Ein blasses, unheilvolles Licht erfüllte den Raum. Es war nicht
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