Die Verfuehrung Des Ritters
der neue Morgen, der heraufzog, aber das war auch das Einzige, was sie sicher wusste. So wachte man auf, wenn man stundenlang geschlafen hatte. Oder nur einen Augenblick. Oder gar nicht. Die Dunkelheit, die sie umschloss, war geheimnisvoll und beunruhigend.
Wo war sie?
Gwyn hob die Hände. Sie zeichneten sich fahl und schattig vor dem dunklen Hintergrund der Kammer ab. Nur das Feuer in dem Kohlenbecken glomm. Sie drehte den Kopf nach links, aber auch dort war alles finster.
»Wo bin ich?«, flüsterte sie.
»In Sicherheit«, kam die leise Antwort. Sie schaute nach rechts. Eine dunkle, hünenhafte Gestalt saß, an die Wand gelehnt, auf einem Hocker. Seine Augen glitzerten im Feuerschein, als er sie beobachtete. Und dann kam schlagartig die Erinnerung zurück.
Das Nest wurde belagert. Marcus hatte den verrückten und gefährlichen Versuch unternommen, sie zu entführen. Dann wusste Gwyn wieder, was ihr Retter getan hatte, was bei den Sachsen und bei Hipping geschehen war. Wie sie auf verborgenen Pfaden wie in einem Traum hierher gewandert waren. Eine mysteriöse Nacht, die von Trugbildern und Helden beherrscht wurde, die ihre Kapuze tief ins Gesicht zogen. Und von brennend heißen Küssen, die sie bis ins Innere ihrer Seele trafen.
Dieser letzte Gedanke schaffte es, dass Gwyn endlich wieder klar denken konnte. Sie schob die Pelze beiseite und schwang die Beine aus dem Bett.
Ihre schmerzenden Muskeln hatten sich im Schlaf versteift, und die plötzliche Bewegung weckte den Schmerz. Sie sank mit einem leisen Schrei zurück in die Kissen.
Griffyn beobachtete sie vom Hocker aus, ohne sich zu rühren. »Legt Euch wieder hin!«, befahl er leise.
Sie nickte gehorsam. Das leise Rascheln ihrer Haare, die über das Leinen des Kissens strichen, begleitete ihr Nicken. Die feinen Strähnen reflektierten das flackernde Licht der Kerze, die auf dem Tisch stand. Ihre Augen und ihre Wangen waren vom Schlaf gerötet. Sie hatten aufregende Stunden hinter sich, aber offensichtlich hatte sie keine nennenswerten Verletzungen, und Griffyn wusste aufgrund seiner Erfahrungen im Kampf, dass sie bald wieder in Ordnung kommen würde. Jetzt hob Gwyn eine Hand und betastete ihren Kopf.
Sie setzte sich wieder auf, diesmal langsamer. »Was ist mit meinem Kopf?«
»Ihr habt viel Aufregung gehabt, aber Ihr kommt schnell wieder in Ordnung.«
Gwyn nickte zweifelnd. Sie blickte sich in der Kammer um, ehe sich ihr Blick wieder auf ihn richtete. »Ich kann Euch nie vergelten, was Ihr für mich getan habt, Pagan.«
»Ich will nichts von Euch«, erwiderte er hölzern und erhob sich.
Gwyn stützte sich auf die Ellbogen und beobachtete ihn. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden, selbst wenn sie es gewollt hätte. Er hatte etwas Raubtierhaftes an sich, als er in der Kammer hin und her ging. Etwas an ihm war anders, hatte sich verändert, seit sie eingeschlafen war. Etwas, das sie an zerklüftete Felsen denken ließ und daran, an diesen Felsen zu zerschellen. Sie glitt wieder unter die Felldecken.
Griffyn blieb abrupt stehen und richtete seinen durchdringenden Blick auf Gwyn. »Wer seid Ihr, Mädchen? Warum wart Ihr allein auf der Landstraße unterwegs?«
»Ich habe es Euch doch schon gesagt: Lord Endshire war ein allzu beharrlicher Verehrer.«
»Und Ihr wart auf dem Weg zum Kloster, weil Ihr Euch dort Rettung erhofft habt?«
Sie zögerte. »Ich wurde bereits gerettet.«
»Was glaubt Ihr, was Endshire von Euch wollte?«
»Mein Geld«, erwiderte sie heftig.
»Habt Ihr denn so viel davon?«
»Jetzt nicht mehr.«
Er betrachtete sie so aufmerksam, wie ein Löwe ein Lamm belauerte, und Gwyn fühlte sich erregt und ängstlich zugleich. »Habt Ihr es verprasst?«, fragte er trocken.
»Marcus wird weinen, wenn er das erfährt.«
»Die Kriege werden mit ihm weinen.«
Er wandte sich ab. »Sie weinen Blut, Mistress.« Er ging zu dem Kohlenbecken und stocherte in den Kohlen. Der Schein der orangen Glut fiel aufsein Gesicht, das wie aus glattem Stein gemeißelt wirkte. Hart und undurchdringlich. Auch wenn er bisher immer sanft gewesen war.
Fast immer.
Gwvn empfand ein leichtes Unbehagen und rutschte tiefer unter die Decken. Sie beobachtete ihn. »Ja, das tun sie. Kriege kosten Blut und Geld, und sie bringen das Wehklagen der Frauen mit sich, deren Männer im Kampf fallen.«
Er blickte sie über die Schulter an. »Habt Ihr einen Ehemann verloren ?«
»Mit mir wäre keiner zufrieden.«
Er starrte wieder in die glühenden Kohlen. »Vielleicht
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