Die Verfuehrung Des Ritters
»Aber ich bin wirklich um Euch besorgt, Mylady, wie wir alle.«
Erwies auf die beiden Männer.
Eine leise, schleichende Furcht kroch Gwyns Rückgrat hinauf. Ihr Freund John sah sie an, wie er ein kleines Kind ansehen
würde, das fast von den Hufen eines Pferdes zertrampelt worden wäre. Der Blick des Abtes allerdings ließ sich eher so deuten, als hielte er Gwyn für die Reiterin eben dieses Pferdes. Er neigte betont würdevoll den Kopf, sodass sie seine Tonsur sehen konnte.
»Ihr sprecht ein wahres Wort, mein lieber Lord d'Endshire«, sagte er in leiernd klingendem Ton. »Und wir schätzen Eure Sorge sehr. Ohne Euch hätten wir vielleicht nie erfahren, dass wir nach der Lady Ausschau halten mussten.«
»Ihr habt sie benachrichtigt, nach mir zu suchen?«, rief sie und sah Marcus an.
Er nickte höflich. »Ich habe gedacht, Ihr kommt vielleicht her, nachdem Ihr London gestern Abend so überstürzt verlassen habt.«
Gwyn konnte nicht fassen, welch einen Mummenschanz er hier aufführte. »Ich habe die Stadt überstürzt verlassen«, stieß sie grimmig hervor, »weil Ihr damit gedroht habt, mich gegen meinen Willen zu heiraten!«
»Ich habe nur die Möglichkeit einer Heirat mit Euch erörtert, Mylady. Dass Ihr daran Anstoß genommen habt, war weder mein Wunsch noch mein Bestreben.«
»Euer Wunsch? Ihr habt es erörtert? Ihr habt mir eindeutig gedroht!«
»Ich habe Euch den Wert einer solchen Verbindung dargelegt.«
»Ihr habt Truppen zum Nest geschickt...«
»Zu Eurer Verteidigung.«
»... und habt gesagt, wenn ich Euch nicht heirate ...«
»... dann würdet Ihr wenigstens ein Mindestmaß an Schutz genießen, den ich Euch gegen die Kräfte gewähre, die gegen Euch vorzugehen gedenken«, beendete er ihren Satz ruhig. »Meine Männer sind nur dort, um Everoot vor fremden Übergriffen zu schützen. Wir leben in gefährlichen Zeiten, Gwyn«,
führ er fort. Seine Miene war sehr ernst, und er redete sie nicht mehr mit ihrem Titel an, um sowohl seiner Verbundenheit mit ihr als auch seiner tiefen Sorge Ausdruck zu verleihen. »Und jetzt, da Euer Vater verstorben ist, gibt es genug Männer, die sich gegen das Haus von Everoot verschwören.«
»Stimmt! Und Ihr seid einer der Schlimmsten!«
Sie wandte sich an John, aber der wirkte nicht länger besorgt, sondern schien sich in seiner Haut eher unwohl zu fühlen. Sie wirbelte zum Abt herum, der die Hände in die weiten Ärmel seiner Kutte geschoben hatte und wichtigtuerisch mit dem Kopf nickte. Gwyn war danach zumute, einen heftigen Wutanfall zu bekommen.
»Mylady«, wagte John, sich zu Wort zu melden. Er nahm ihre Hand und blickte sie gleichermaßen besorgt und freundlich an. »Ihr solltet Euch reinigen.«
Sie starrte stumm auf die Wand am anderen Ende des Raumes. Die Wirklichkeit holte sie ein. Die Männer glaubten nicht ihr, sondern Marcus. Entweder aus Überzeugung oder weil es so bequemer für sie war. Sie glaubten, Gwyn sei wie ein kleines ungezogenes Kind weggelaufen, das nicht wusste, was es wollte oder zu keinem klaren Gedanken fähig war. Sie gingen davon aus, dass Gwyn schlicht nicht in der Lage war, klar zu denken.
Wie betäubt wandte sie sich ab und ließ sich von John fürsorglich zur Tür geleiten.
»Woher habt Ihr diesen Umhang, Mylady?«
Marcus' Stimme kroch wie eine eisige Hand ihren Rücken hinauf. Sie verharrte mitten in der Bewegung, doch dann ging sie weiter und zog John mit sich. Sie versuchte, dieses Zimmer zu verlassen, bevor Marcus seine gefährliche Frage wiederholen konnte.
»Mylady? Woher habt Ihr diesen Wollumhang?«
»John.« Flehend wandte sie sich an ihren alten Freund. »Vielleicht bin ich wirklich ein wenig durcheinander.« Sie schluckte den bitteren Groll herunter, weil sie sich dumm stellen musste.
Sie blickte ihn unverwandt an, und er schien sichtlich besorgt. »Es war eine grauenvolle Nacht, und ich würde mich jetzt gerne zur Ruhe begeben.«
»Bleibt, Lady!«, befahl Marcus leise. »Ich möchte unser Gespräch fortsetzen.«
»John«, flehte Gwyn und versuchte, nicht allzu verzweifelt zu klingen.
Marcus trat zu ihr und legte eine Hand auf ihren Arm. »Wartet.«
Gwyn riss sich von ihm los. Sie war einem Wutanfall gefährlich nahe, aber jetzt die Haltung zu verlieren, wäre vermutlich das Schlimmste, was ihr in dieser Situation passieren konnte. Wenn sie Marcus mit gebleckten Zähnen angriff, würde das kaum den Beweis dafür liefern, dass sie eine vernünftige Frau war, auf deren Urteil man setzen konnte.
Marcus und
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