Die Verfuehrung Des Ritters
kommenden Frühling irgendwo an unserer Küste auf, um dort sein Lager aufzuschlagen.«
»Er kommt schon im Winter, würde ich behaupten«, sagte Marcus ruhig. Er hatte auf einer Bank Platz genommen und die Beine ausgestreckt. »Sollten sich noch ein, zwei Adelige mehr seiner Sache anschließen, wird Henri keine Zeit verschwenden. Er wird sein warmes Hochzeitsbett verlassen und nach England kommen. Pagan Sauvage ist ein sehr überzeugender Mann.«
Wie eine Marionette, an deren Schnüren jemand gezogen hatte, fuhr Gwyn fuhr aus ihrem Sessel hoch. »Pagan?«
Die Männer wandten sich zu ihr um. Marcus musterte sie stumm.
Sein Blick glitt langsam über sie, dann starrte er Gwyn in die Augen. Er lächelte. Ein stilles, gefährliches Lächeln. Dann erhob er sich.
»Cantebrigge, befehlt Euren Männern aufzusitzen. Sie ist aus dem Wald südlich von hier gekommen.«
John und er gingen bereits zur Tür und sprachen angeregt miteinander.
»Nein!«, rief Gwyn und lief den Männern hinterher. »Nein, das könnt ihr nicht tun!«
Die beiden Männer blieben stehen. Marcus beugte sich zu ihr und strich mit einem Finger über ihre Wange. »Ich wusste es«, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann eilte er weiter. Der Abt folgte ihm dicht auf den Fersen. Sie wollte ihnen nachlaufen, aber John hielt sie zurück.
»Gwyn!« Er schüttelte sie ungeduldig. »Was ist nur los mit Euch? Das ist der Mann, den wir gesucht haben. Seinetwegen könnte der König vielleicht seine Krone verlieren!«
»Er hat mir das Leben gerettet!«
Auf Johns freundlichem Gesicht zeichnete sich ein Ausdruck tiefer Abscheu ab. »Weißt du, wer er ist? Dieser Pagan?«, wollte er wissen. Er war sichtlich erzürnt.
»N... nein.«
Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Pagan ist Griffyn Sauvage, Guinevere«, zischte er. »Er ist Christian Sauvages Sohn. Der Erbe von Everoot.« Ihr Gesicht wurde kalkweiß. Sie fror plötzlich. »Pagans Vater und dein Vater waren einst Freunde. Die besten Freunde. Sie teilten alles miteinander. Frauen, Wein, Kämpfe.
Überall gingen sie gemeinsam hin. Überall«, wiederholte er eindringlich.
Dunkel erinnerte Gwyn sich an etwas. Und dieses Etwas machte ihr Angst. »Das Heilige Land«, flüsterte sie.
John blickte sie scharf an. »Genau. Und Marcus' Vater war mit ihnen dort, Mylady.
Die drei waren zusammen dort. Vergesst das nicht.«
Ihr wurde schlecht. »Was meint Ihr?«
»Hat Euer Vater es Euch nicht gesagt? Marcus war vor vielen Jahren der Knappe Eures Vaters.«
»Wie bitte?«
»Das war lange vor Eurer Geburt. Er wurde Eurem Vater von Miles, Marcus' Vater, aufgedrängt. Griffyn Sauvage sollte auch als Knappe zu Eurem Vater gehen, aber dann ist irgendwas geschehen. Ich weiß nicht, welche Umstände dazu geführt haben, aber es gibt etwas, das die drei Familien aneinander bindet. Etwas Unheilvolles verbindet Sauvage, fitzMiles und die de l'Amis.«
»Marcus kennt Pagan?«, fragte sie schwach.
»Marcus kannte seinen Vater, und ja, den Sohn kennt er auch. Und Marcus hat genauso guten Grund, ihn zu hassen, wie die de l'Amis.«
Hassen, dachte sie betäubt. Ich sollte ihn hassen. »Was wollt Ihr damit sagen ?«
»Was ich sagen will, ist Folgendes: Wenn Ihr Marcus noch ein einziges Mal widersprecht, seid Ihr dem Untergang geweiht. Dann geht Everoot in seine Verfügungsgewalt über, und er bekommt die Vormundschaft über Euch. Und dann wird er Euch zur Frau nehmen.«
Gwyn presste eine Hand auf den Mund. Angst durchfuhr sie wie eine rasende, schäumende Welle. Ihre Reaktion schien John zu verärgern.
»War Eure Nacht mit Pagan es wert, dafür Everoot aufs Spiel zu setzen?«, fragte er erzürnt. »Warum habt Ihr nicht gleich gesagt, wer Euch zu Hilfe gekommen ist?«
Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er wurde blass. »Gott möge uns gnädig sein. Gwynnie! Ihr wusstet nicht, wer er ist, habe ich recht?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. Sie leugnete es, obwohl in ihr etwas schrie: Ja doch, ja, ich habe gewusst, dass er nicht der war, der er vorgab zu sein. Das hätte mir genügen müssen, misstrauisch zu sein.
Sie schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Fingerspitzen fühlten sich auf ihren Wangen eisig an. Sie konnte sich kaum auf John konzentrieren. Sein Gesicht verschwamm vor ihren Augen.
»Ich habe jetzt nicht die Zeit, Euch die ganze Geschichte zu erzählen, Gwyn. Wenn Everoot Euch gehören soll, dann müsst Ihr dafür kämpfen. Dann darf es nichts geben außer Everoot. Versteht Ihr mich?« Er sah sie
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