Die Verfuehrung Des Ritters
er ihr, obwohl mit jedem Atemzug kleine Atemwölkchen vor seinem Mund aufstiegen. Tränen schossen Gwyn in die Augen. Konnte es treuere und tapferere Männer geben als diesen Sohn eines Kuhhirten, der sich im tiefsten Keller der Burg versteckte?
Sie klopfte Duncan noch einmal auf die Schulter und versprach ihm, mehr Decken zu bringen, während sie ihre kalten Hände aneinanderrieb. König Stephen würde bald Regent von Henris Gnaden sein. So hieß es jedenfalls. Aber eines Tages würde Eustace sich zusammen mit seinen Baronen erheben -sobald er wieder ins Licht trat und deren Treue einforderte.
Aber jetzt braucht er erst einmal Ruhe, dachte Gwyn.
Sie ging zur Treppe zurück und stieg hinauf. Die Dunkelheit störte sie nicht, weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders war und nicht auf die Stufen achtete.
Auf dem oberen Treppenabsatz angekommen, öffnete sie die Tür, die nach außen aufschwang. Gwyn schob den Wandbehang zur Seite und schlüpfte in die Schlafkammer.
Die Tür schloss sich hinter ihr, und der Wandbehang glitt raschelnd an seinen Platz.
Gwyn bückte sich, um ihren Fuß aus dem Rocksaum zu befreien, in dem er sich verfangen hatte. Als sie wieder aufschaute, sah sie direkt in die Augen von Griffyn Sauvage.
8. KAPITEL
»Ach du lieber Gott!«, rief sie und wich, eine Hand gegen die Brust gepresst, vor ihm zurück. »Was tut Ihr hier?«
Er machte einen Schritt auf sie zu. Es war ein großer Schritt, mit dem er das ganze Zimmer zu durchmessen schien, obwohl er noch zehn Fuß von ihr entfernt stand. Er hatte seine Rüstung abgelegt. Das weiche Hemd, das er unter dem Kettenhemd und dem wattierten Gambeson trug, schmiegte sich an seinen muskulösen Körper. Sein Haar war feucht, vielleicht hatte er gebadet oder den Kopf einfach in die Pferdetränke getaucht. Einzelne Strähnen klebten an seiner Stirn und seinem kräftigen Nacken. Gwyn wich einen Schritt zurück. Er machte einen Schritt auf sie zu.
»Ich könnte Euch dieselbe Frage stellen.«
»Ich habe nur ... Ich habe mich umgeschaut.« Sie nestelte an dem Wandbehang herum, der den Zugang zum Keller verbarg. Sie musste sich zwingen, die Hände davon zu lassen, damit Griffyn nicht misstrauisch wurde.
Sein Blick glitt über den Wandbehang, ehe er Gwyn wieder prüfend ansah. Er schien nachzudenken, als würde er von einer ihm unbekannten Speise kosten. »Und was habt Ihr gefunden ?«
»Nichts! «, verkündete sie fröhlich. »Ich weiß, ich dürfte nicht hier sein. Ich gehe wohl besser...«
Er schloss die Tür zum Korridor. »Bleibt.«
»Ich sollte wirklich gehen.«
»Ihr sollt tun, was ich Euch befehle.«
Sie tastete nach einem Halt. Einem Tisch, einer Wand, einer Waffe, irgendetwas, woran sie sich festklammern konnte. »Habt Ihr mir nicht verboten, herzukommen?«
Er lächelte. Es war dieses leise, sinnliche Lächeln, das ihr den Verstand raubte.
»Noch nicht.«
»Würdet Ihr es mir jetzt sagen, könnt Ihr sicher sein, dass ich dieser Aufforderung sogleich bereitwillig Folge leiste.«
»Das werde ich tun.« Er strich sich über das Kinn. Gwyn betrachtete ihn fasziniert.
Verdammt, ganz gewiss wollte er sie mit diesem verführerischen Lächeln nur quälen!
»Dann ... gehe ich jetzt.«
»Bleibt.«
Sie wich erneut zurück und wäre am liebsten aus dem Fenster geklettert. Griffyns Blick richtete sich erneut auf den Wandbehang. Ihr Herz hämmerte vor Furcht.
Wenn sie nicht sofort etwas unternahm, kam er womöglich noch auf den Gedanken, ihn sich genauer anzusehen.
»Haben Eure Lakaien Gefallen an meiner Leibwäsche gefunden?«
Er starrte sie verwirrt an. »Wie bitte?«
»Meine Truhe.« Anklagend wies sie auf die Stelle, an der die Truhe bisher gestanden hatte. »Sie ist verschwunden.«
»Sie gehört Euch?«
»Wem denn sonst?« Sie ging zur anderen Seite des Raums. Nur weg von dem Wandbehang.
»Ich dachte, Eurem Vater.«
Gwyn spürte den altvertrauten Schmerz zurückkehren. »Er hat die alte Truhe geliebt. Sind Euch die reichen Schnitzereien aufgefallen? Man sagt, William der Eroberer habe sie einst hergebracht, aber darüber hat Papa immer nur gelacht. Ihm gefiel einfach, wie kunstvoll sie gearbeitet war.« Sie lachte unsicher. »Aber warum erzähle ich Euch das? Ihr wisst ja alles über meinen Vater, ist es nicht so? Und das, was Ihr wisst, genügt Euch, ihn in hundert Jahren noch zu hassen.«
»Ja, ich könnte ihn wirklich ewig hassen.« Seine Stimme klang ruhig.
»Nun, das ist Eure Sache.«
»Aber ich hasse nicht seine Holztruhe,
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