Die vergessene Frau
stand auf und zog Linda vom Sofa. »Verschwinden wir.« Er drehte sich noch einmal zu Cara um. »Bis später.«
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab.
Cara hatte den ganzen Abend miserable Laune. Eine halbe Stunde nachdem die beiden aufgebrochen waren, kam Annie nach Hause. Wie üblich kochten sie gemeinsam Abendessen, doch Caras sonst so herzhafter Appetit hatte sie an diesem Abend verlassen, und auch ein Gespräch kam nicht zustande.
Annie beobachtete, wie Cara in ihrem Essen stocherte. »Was ist mit dir?«, fragte sie schließlich.
»Nichts. Bin nur müde.« Cara gab auf und ließ die Gabel auf den Teller fallen. »Ich wasche noch ab und gehe dann in mein Zimmer.«
Es war schon nach Mitternacht und Cara halb eingeschlafen, als sie die Haustür schlagen hörte. Danny war nach Hause gekommen, und er hatte Linda dabei. Sein Zimmer lag genau unter Caras, und sie konnte die beiden durch die Dielen hindurch lachen hören. Nach einer Weile wurde es leiser, und dann wurde Radio Luxemburg eingeschaltet, das die verräterischen Geräusche jedoch nicht übertönen konnte. Cara presste die Hände auf die Ohren und vergrub den Kopf unter den Kissen, aber ohne jeden Erfolg. Sosehr sie sich auch bemühte, sie bekam das Bild von Danny und Linda nicht aus ihrem Kopf.
In ihrem stillen Zimmer zog Cara die Zeitschrift aus ihrer Tasche. Heute im Zeitungsladen war ihr eine Schlagzeile ins Auge gesprungen: Wünschen Sie sich einen größeren Busen? Wir verraten Ihnen wie! Und so hatte sie in der Hoffnung, endlich all ihre Probleme lösen zu können, einen kostbaren Sixpence für die neueste Ausgabe von Women’s Own springen lassen.
Aber zu ihrer Enttäuschung enthielt die Zeitschrift keinen Hinweis auf eine Zauberkur: nur einen Bericht über einen neuartigen Büstenhalter, das Modell 1300, das für Cara viel zu teuer war. Allerdings stieß sie ganz unten auf der Seite auf einen interessanten Beitrag: Dort wurde in einem kleinen Kästchen den Leserinnen erklärt, wie sie für einen Bruchteil der Kosten den gleichen Effekt erreichen konnten.
Seit Cara an jenem Abend Linda und Danny zusammen gesehen hatte, war sie entschlossen, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Gleich am nächsten Tag hatte sie sich ausgiebig und kritisch im Spiegel begutachtet. Kein Wunder, dass Danny sie nie beachtete, wenn sie so bubenhaft aussah: Ihr Haar war kurz und struppig, denn es war noch nicht wieder nachgewachsen, nachdem Schwester Concepta es abgeschoren hatte; sie trug ausschließlich weite Röcke und ausgeleierte Pullover, abgelegte Sachen von Annie, die ihrem dürren Körper nicht schmeichelten und in denen sie immer noch wie ein Kind aussah; und sie schminkte sich nicht. Sie musste weiblicher werden, sie musste mehr wie Linda werden. Also hatte sie sich für eine Haartönung, Schminksachen und eine neue Ausstattung – einen hüftbetonten Rock und engen Pulli – in Unkosten gestürzt und wollte jetzt den Nachmittag damit zubringen, sich zurechtzumachen. Schließlich feierte Danny heute Geburtstag, und Annie wollte ihm zu Ehren ein Essen geben. Cara war fest entschlossen, besser denn je auszusehen.
Vier Stunden später war die Verwandlung abgeschlossen. Cara starrte sich im Spiegel an und wusste nicht recht, was sie von dem Ergebnis halten sollte. Ihr Haar war nicht platinblond wie erhofft – es sah eher orange aus; durch das Make-up wirkte sie älter, aber war die Grundierung nicht ein wenig zu dunkel? Ihr Hals hatte nun eine andere Farbe als ihr Gesicht. Sie wünschte sich, sie hätte jemanden fragen können, bevor sie sich aller Welt in ihrem neuen Look präsentierte. Also, sie sah jedenfalls verändert aus, so viel stand fest. Sie drehte sich hin und her und versuchte sich schlüssig zu werden, ob sie sich so besser gefiel. Irgendwas stimmte einfach nicht. Der Pulli hing, offen gestanden, formlos an ihr herunter. Sie hatte sich einen BH gekauft – ihren ersten –, aber sie hatte nichts, um ihn zu füllen. Ihr Blick fiel wieder auf die Zeitschrift mit der Behelfslösung.
Sie brauchte eine halbe Stunde, um die Watte richtig zu platzieren, doch als sie damit fertig war, gefiel ihr, was sie sah. Die Watte füllte die Körbchen richtig aus, und als sie den Pullover darüberzog, sah sie richtig gut aus – so wie Linda in ihrem. Vielleicht war die linke Seite ein bisschen größer als die rechte. Sie zog die Träger zurecht und schob die Körbchen hin und her, bis beide Seiten annähernd gleich groß wirkten. Aber dadurch kam die Watte in
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