Die vergessene Frau
Bewegung und rutschte tiefer. Verdammt. Sie zupfte alles wieder zurecht, bis es halbwegs saß. Perfekt sah es nicht aus, doch sie war überzeugt, dass das niemandem auffallen würde. Außerdem blieb ihr sowieso keine Zeit mehr, noch etwas zu ändern – Annie hatte schon zweimal nach ihr gerufen. Alle anderen waren inzwischen unten und warteten nur darauf, dass Dannys Geburtstagsessen beginnen konnte.
Die Connollys hatten sich in der Küche versammelt und prosteten Danny mit Sekt zu, den Annie besorgt hatte. Im ersten Moment bemerkten sie Cara gar nicht, die in der Tür stehen geblieben war, um ihren großen Auftritt vorzubereiten. Annie sah sie als Erste – und ließ prompt die Schüssel mit Kartoffeln fallen, die sie gerade zum Tisch tragen wollte.
»Du lieber Himmel!«, entfuhr es ihr, dann schlug sie die Hand vor den Mund.
Alle drehten sich um.
Bronagh, die mit ihrer Familie vorbeigekommen war, um Dannys Geburtstag zu feiern, kniff fragend die Augen zusammen. »Cara?«, meinte sie unsicher.
Aidan, Bronaghs fünfjähriger Sohn, starrte unverhohlen auf ihre Brüste. »Was ist mit deinem Busen passiert?«
»Aidan!«, schalt ihn Bronagh.
Aber Aidan war ein eigensinniger kleiner Kerl, fast wie sein Onkel Danny früher, und so stand er ohne nachzudenken auf, kam auf Cara zu und schlug genau dort gegen ihren Pullover, wo sich eigentlich ihre Brüste befinden sollten. Mit einem Hieb war die Watte platt. Alle im Raum hielten erschrocken die Luft an. Aidan sah zu ihr auf.
»Die sind gar nicht echt«, bemerkte er ernst.
Einen Moment blieb es totenstill, dann begann der ganze Tisch – fast wie aus einem Mund – zu lachen.
»Ach, Herzchen«, brachte Annie schließlich heraus. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Kindermund tut Wahrheit kund, wie?«
Tränen der Scham brannten in Caras Augen. Sie sah, dass Danny den Arm um Linda gelegt hatte und sie ihn schadenfroh anlächelte. Wie sollte er sie je wieder ernst nehmen? Mit diesem Gedanken floh sie nach oben.
Danny kam persönlich unters Dach, um nach ihr zu sehen. Er klopfte an die Tür. »Kann ich reinkommen?«
»Nein.«
Er drückte die Tür einen Spaltbreit auf. »Bitte – lass mich rein, ja?«
Cara lag bäuchlings auf dem Bett und sah nicht einmal auf. »Du kannst tun und lassen, was du willst.«
Er kam an ihr Bett, setzte sich auf die Kante und legte eine Hand auf ihre Schulter. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre sie selig über so viel Aufmerksamkeit gewesen. Aber so nicht.
»Ist alles im Lot, Kumpel?«, fragte er freundlich.
»Was glaubst du denn?«
Er lachte leise. »Nicht so richtig, wie?«
»Genau.«
»Was soll der ganze Aufzug, hm? Die Kleider, die Haare, die Schminke?«
Im ersten Moment blieb Cara stumm. Wie sollte sie ihm erklären, dass sie nur von ihm bemerkt werden wollte? »Ich wollte einfach mal anders sein«, antwortete sie schließlich. »Aber das ist wohl in die Hose gegangen.« Sie vergrub ihr Gesicht im Kissen und fing wieder zu weinen an.
»Hey, hey. Schluss mit der Heulerei.« Danny drehte sie vorsichtig auf die Seite und streckte ihr ein Taschentuch hin. »Jetzt hör auf zu weinen. Und komm wieder runter zum Essen, ja? Tu’s für mich, schließlich habe ich heute Geburtstag.«
»O nein, das werde ich auf keinen Fall.« Sie drehte ihm das verheulte Gesicht zu, dessen Wangen mit tiefen Mascara- und Make-up-Spuren durchfurcht waren. »Das kannst du doch verstehen, oder? Ich kann ihnen unmöglich noch einmal unter die Augen treten.«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Ich verstehe das.« Er fuhr Cara liebevoll durchs Haar. »Aber denk dir nichts dabei. In deinem Alter macht jeder Dummheiten. Davon geht die Welt nicht unter.«
Damit ging er wieder zu den anderen nach unten. Doch falls er sie mit seinen Worten hatte trösten wollen, so hatte er damit das Gegenteil erreicht. Sie hatte sich noch nie so klein und dumm gefühlt. Kein Wunder, dass er sich nicht für sie interessierte.
Kapitel 39
November 1963
Cara wachte davon auf, dass jemand mit aller Kraft gegen die Haustür hämmerte. Als das Holz splitterte, flogen ihre Augen auf. Sie hörte, wie schwere Stiefel durchs Haus stürmten, wie unter lauten Rufen Türen aufgerissen und Zimmer durchsucht wurden, und begriff sofort, was los war. Eine Hausdurchsuchung im Morgengrauen.
In der Dunkelheit des frühwinterlichen Morgens schlüpfte Cara in ihren Morgenmantel und lief nach unten, aber als sie dort ankam, sah sie nur noch, wie Danny in Handschellen von zwei
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