Die vergessene Frau
Uniformierten aus dem Haus geführt wurde. Offenbar hatte er sich in aller Eile angezogen: Er trug eine alte Bluejeans, hatte das T-Shirt verkehrt herum an und hätte eine Rasur gebraucht.
Als Cara ihn so sah, schlug sie unwillkürlich die Hände vor den Mund.
»Danny!«, entfuhr es ihr, und ihr traten die Tränen in die Augen, als sie sah, wie der Mann, den sie so bewunderte, derart erniedrigt wurde.
Doch Danny wirkte ungebrochen. »Mach dir meinetwegen keine Sorgen«, rief er ihr über die Schulter zu. »Kümmere dich einfach um Mum, in Ordnung?«
Sie entdeckte Annie in der Küche, wo sie am Tisch saß und mit leicht zitternder Hand eine Zigarette rauchte. Cara setzte sich neben sie. Über ein Jahr war vergangen, seit sie vor der Tür der Connollys gestanden hatte, und in dieser Zeit war Annie immer wie eine Mutter zu ihr gewesen. Cara ertrug es nicht, sie so aufgelöst zu sehen.
»Geht es?« Cara wusste, wie schrecklich es für die ältere Frau sein musste, dass man ihren Sohn vor ihren Augen aus dem Haus gezerrt hatte. Aber obwohl Annie noch unter Schock stand, nahm sie den ganzen Vorfall erstaunlich gelassen. Mit so etwas hatte sie längst gerechnet. Männer wie Danny kamen nicht ewig ungeschoren davon.
»Ich werde schon wieder. Um Danny müssen wir uns Sorgen machen.« Sie seufzte schwer. »Ich sage lieber Finnbar Bescheid, was passiert ist.«
Sie wollte schon aufstehen, doch Cara legte die Hand auf ihren Arm.
»Lass nur. Das übernehme ich. Soll ich dir vorher noch Tee aufsetzen?«
Annie lächelte müde zu ihr auf. »Danke, Liebes. Du bist eine echte Lebensretterin.«
Im Verhörraum auf dem örtlichen Revier saß Deputy Chief Inspector Bailey vor Danny Connolly. Der untersetzte Polizist hatte einen rasierten Schädel und eine platt gedrückte Nase, ein Souvenir aus einer Auseinandersetzung mit einem Betrunkenen zu Beginn seiner Zeit als Streifenpolizist. Mit vierzig sah er mit seiner tief gefurchten Stirn aus wie eine Bulldogge und hatte den Ruf, der härteste Polizist im ganzen Revier zu sein. Wenn der Chief Inspector jemanden einschüchtern wollte, schickte er Bailey in den Verhörraum.
Danny wusste das schon und würde keine Schwäche zeigen. Seine Unerschrockenheit war alles, was ihm geblieben war, und er würde sie nicht leichtfertig aufgeben. Man hatte ihn wegen eines Banküberfalls verhaftet, der Anfang der Woche auf eine Filiale an der Hauptstraße von Enfield verübt worden war. Angeblich gab es einen Zeugen, der ihn dort beobachtet hatte. Es sah nicht gut für Danny aus, aber noch gab er nicht auf.
Bailey starrte den Gefangenen über den Tisch hinweg an, und Danny starrte trotzig zurück. Sie hatten den Burschen stundenlang ohne Essen, Trinken oder irgendeine Erklärung in der Zelle schmoren lassen. Die Taktik hätte ihn verunsichern sollen, aber offenbar hatte sie keine Wirkung gezeigt.
»Also«, begann Bailey.
Danny legte den Kopf schief. »Also?«, wiederholte er ironisch.
»Du weißt, wie es läuft. Wir haben jemanden, der dich am Tatort gesehen hat, und so wie es aussieht, fährst du für achtzehn Jahre ein. Bis du wieder rauskommst, bist du fast vierzig, und keines der hübschen Mädchen, mit denen du jetzt durch die Gegend ziehst, sieht dich noch von der Seite an.«
»Klar – Sie sprechen da aus Erfahrung.«
Die respektlose Antwort stieß Bailey übel auf, doch er beschloss, nicht darauf einzugehen. Im Moment stand mehr auf dem Spiel als sein Stolz. Er hatte eine Botschaft für den Jungen. Ohne auf den Seitenhieb zu reagieren, beugte er sich vor. »Hör zu, ich will nicht um den heißen Brei herumreden. Wir haben es nicht auf dich abgesehen. Du bist ein kleiner Fisch, mit dir vertun wir nur unsere Zeit. Aber wenn du uns lieferst, was wir von dir wollen, bist du zum Abendessen wieder zu Hause.«
Danny heuchelte Interesse. »Und was wollen Sie von mir?«
»Den großen Fisch: Finnbar. Wir wissen, dass er hinter dem Raubüberfall steckt. Wenn du uns versprichst, dass du das vor Gericht bezeugst, bekommst du nur eins auf die Finger.«
»Ach ja?«
Bailey beugte sich über den Tisch; ihm lief fast der Speichel aus dem Mund. »Ach ja. Du brauchst uns nur Finnbar zu liefern. Das ist alles, was wir wollen.«
Danny wartete eine Sekunde ab, dann grinste er. »Sie wissen also bestimmt verflucht gut, wie es ist, wenn man was will und nicht kriegt.« Er lümmelte sich in seinen Stuhl. »Ich kenne keinen Finnbar – und selbst wenn ich einen kennen würde, ich verpfeife keinen. Warum
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