Die vergessene Frau
für Mode zu interessieren, und seither sehnte sie sich nach einer Anstellung in einer der schicken Boutiquen, die entlang der King’s Road aus dem Boden schossen. Aber ohne Versicherungskarte hatte sie dort keine Chance. Deshalb war sie dazu verdammt, tagaus, tagein den immer gleichen Kunden Gemüse und Obst abzuwiegen.
Noch dazu hatte ihr Annie heute erzählt, dass Linda, Dannys grässliche Ehemalige, geheiratet hatte. Danny hatte ihr ein paar Monate vor seiner Verhaftung den Laufpass gegeben, und Linda hatte sich postwendend einen neuen Kleinganoven geangelt. Jetzt waren die beiden Mann und Frau und, soweit man hörte, in eine neu errichtete Doppelhaushälfte in Essex gezogen. Nicht dass Cara sie darum beneidet hätte, doch Linda machte wenigstens etwas aus ihrem Leben, während sie selbst hier feststeckte und ewig dasselbe tat.
»Also, raus damit«, drängte Mel. »Erzähl mir, was dir stinkt. Du weißt schon, geteiltes Leid und all das.«
Normalerweise wäre es Cara nicht im Traum eingefallen, eine praktisch Fremde mit ihren Problemen zu belasten. Aber sie waren allein im Laden, und Mels Interesse wirkte so aufrichtig, dass unversehens aus ihr heraussprudelte, wie satt sie alles hatte.
Als sie fertig war, betrachtete Mel sie nachdenklich. »Was hältst du davon, im Eclipse zu arbeiten?«
»Was, die Buchhaltung machen oder so?« Im vergangenen Jahr hatte Cara begonnen, Mr Grafton bei der Buchhaltung zu helfen, und dabei gemerkt, wie sehr ihr diese Arbeit lag. Inzwischen half sie auch anderen Ladenbesitzern aus und hatte sich auf diese Weise ein zweites Einkommen geschaffen.
Doch Mel schüttelte den Kopf. »Quatsch. Als Hostess, so wie ich.«
Cara sah Mel an, als wäre sie verrückt geworden. Das Eclipse zählte zu den exklusiven Hostessen-Clubs an der Old Compton Street in Soho. Finnbar hatte es ein paar Jahre zuvor eröffnet. Der Club hatte sofort eingeschlagen, hier trafen sich Prominente und Halbweltgrößen. Doch der eigentliche Magnet des exquisiten, sündhaft teuren Clubs waren die wunderschönen Mädchen, die dort arbeiteten. Cara konnte kaum glauben, dass Mel auch nur erwog, sie könnte dazugehören.
»Ich?« Sie lachte schnaubend, weil sie annahm, dass das Mädchen vor der Theke einen Witz gemacht hatte. »Na sicher, da passe ich hin. Wahrscheinlich würde ich im Nu alle Gäste vergraulen!«
»Sei nicht albern. Du würdest wunderbar dorthin passen.« Mel wühlte in ihrer Handtasche und zog ein elegantes schwarzes Streichholzheft heraus, das sie Cara überreichte. Neben dem weiß eingeprägten Schriftzug Eclipse war die Silhouette einer nackten Frau zu erkennen. Die Adresse des Clubs stand auf der Rückseite. »Also, wenn du Lust hast, schaust du morgen Abend um sechs vorbei, dann bekomme ich den Manager schon dazu, sich was für dich auszudenken.«
Als Cara sich später am Abend im Spiegel begutachtete, begriff sie, was Mel gemeint hatte. Nach jenem dämlichen Zwischenfall vor achtzehn Monaten hatte sie sich geschworen, in Zukunft immer nur sie selbst zu sein. Aber inzwischen brauchte sie sich nicht mehr zu verstellen. Fast ohne dass sie es gemerkt hatte, hatte sie die Peinlichkeiten der Pubertät, unter denen sie jahrelang gelitten hatte, hinter sich gelassen und war zu einer richtigen Frau erblüht. Sie würde nie eine klassische Schönheit werden, wie ihre Mutter es gewesen war, doch mit ihren schwarzen Haaren über der alabasterweißen Haut, den großen grünen Augen und den messerscharfen Wangenknochen wirkte sie auf jeden Fall apart – und das bedeutete viel in einer Zeit, in der Mädchen wie Twiggy immer populärer wurden. Sie war nicht mehr nur eine dürre Bohnenstange, sondern schlank, schlaksig und feingliedrig, und obwohl sie nicht hoffen konnte, einem Mädchen wie Linda in der Oberweiten-Abteilung Konkurrenz machen zu können, war sie ganz passabel ausgestattet.
Also befolgte Cara am Abend darauf Mels Rat und fuhr ins Eclipse. Der Rotschopf hatte Wort gehalten und bei Ronan Carter, dem Clubmanager, ein gutes Wort für Cara eingelegt. Der kleine, untersetzte Mann war früher als Schuldeneintreiber tätig gewesen, hatte aber, nachdem er vierzig geworden war und geheiratet hatte, in Finnbars legale Geschäftsfelder gewechselt. In seinem teuren schwarzen Anzug und dem schwarzen Hemd erinnerte nichts mehr an den Gauner, der er früher gewesen war.
Er lud sie in sein Büro ein. Mit dem tiefen blutroten Teppich und dem schweren Mobiliar war es genau wie der ganze Club eher überladen
Weitere Kostenlose Bücher