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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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immer wieder Kriegserinnerungen aufgetaucht, »Schreckliches – aber auch viel Schönes«.
    Für unser Interview treffe ich Ursula Henke in ihrer Wohnung im zweiten Stock, die einen Ausblick auf einen belebten Platz erlaubt. Sie ist ihrer Heimatstadt, sogar ihrem Viertel, treu geblieben. Ein Viertel wie ein Dorf. Unter Ursulas Wohnzimmerfenster ist gerade Markt. Ach ja, denkt sie, wenn dort Gesichter auftauchen, die sie schon seit ihrer Kindheit kennt, inzwischen sehr alte Gesichter . . . Manchmal erinnern sie Ursula an Geschehnisse aus den ersten Nachkriegsjahren: wie Mutters Freundin Annegret fremdgegangen war mit mehr als einem englischen Soldaten, während ihre drei verstörten Kinder jeden Abend beteten, derPapa möge endlich aus dem Krieg heimkommen; wie im Haus nebenan bei den Brüdern Heinz und Willi der schwarzgebrannte Schnaps dazu beitrug, dass Geselligkeiten zu Orgien entgleisten.
    Völlig anders hatte sich Ursulas Mutter verhalten. Sie habe mit dem ganzen Drunter und Drüber nicht das Geringste zu tun haben wollen, sagt Ursula, die ihr deshalb heute noch dankbar ist. Der Mutter sei es nur darum gegangen, ihren Kindern beizustehen und Tag für Tag von Neuem auf die Heimkehr ihres Mannes zu hoffen.
    In den Fünfzigerjahren, so Ursula, hätten sich die Leute, die sozial etwas ins Abseits geraten waren, dann plötzlich wieder der Moral entsonnen. Da seien alle auf einen Schlag ehrbar und fein geworden, so »als hätte es dieses andere Leben nie gegeben«. Und wie brav erst deren Kinder sein mussten! Wehe, da hätte Ende der Fünfziger eine Tochter ein uneheliches Kind erwartet. Was für eine Schande!
Ins Bett, weil das Zimmer so eisig war
    Während des Krieges wurde Ursulas Familie mehrfach evakuiert, jedesmal an andere Orte. Wunderschön sei es in Thüringen gewesen, erzählt sie, wo sie nicht wie Evakuierte, sondern wie lieber Besuch behandelt worden seien. Da hätten sie beim Bürgermeister gewohnt. Das seien reiche Leute gewesen, die sonntags zweispännig mit der Kutsche zur Kirche fuhren. An diese Zeit habe sie nur schöne Erinnerungen: Es seien extra Plätzchen gebacken worden, es gab einen Hund und – eine Rarität in der Kriegszeit – sogar Männer im Haus. Und im Winter sei sie wie alle anderen Dorfkinder auf Skiern zur Schule gefahren.
    Bei der zweiten Evakuierung traf Ursula auf sehr bescheidene Verhältnisse. Schlimm waren die Enge und das Klima des Zusammenlebens. »Aber man muss so eine Familie auch verstehen«, sagt die Siebzigjährige, deren Dialekt das Ruhrgebiet erkennen lässt,und zeigt unten auf den Marktplatz: »Stellen Sie sich mal vor, da würde plötzlich ein Bus halten mit fünfzig Leuten, und dann würde es an Ihrer Wohnung klingeln, und vor der Tür stünde eine Mutter mit zwei Kindern, und es hieße: Die müssen Sie jetzt aufnehmen.«
    Die Gastgeber von damals, fährt sie fort, hätten doch überhaupt keine andere Wahl gehabt, als ihnen von ihrer kleinen Wohnung ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Und dann hätten sie zu bestimmten Zeiten auch noch die Küche und ihr Wohnzimmer abtreten müssen. »Wenn es oben in unserem Schlafzimmer eisig kalt war, haben wir tagsüber im Wohnzimmer gesessen. Das mussten wir dann um Punkt sieben Uhr räumen, und dann blieb nur noch« – sie schüttelt sich bei der Erinnerung –, »dass wir uns zu dritt oben ins Bett legten, weil wir sonst bitterlich gefroren hätten.«
    Klaus wurde eingeschult, aber das Lernen machte ihm von Anfang an Probleme. »Meine Mutter war viel zu nervös, um ihm zu helfen«, erzählt Ursula. »Ich sehe uns drei noch in diesem fremden Wohnzimmer, wo wir so unerwünscht waren, und die Mutter und Klaus mühten sich ab mit den Hausarbeiten. Da habe ich oft gedacht: Wäre doch der Papa da, der hätte bestimmt mehr Geduld.«
    In dieser Zeit war Ursulas Mutter oft schwermütig. Sie las Vaters Feldpostbriefe, in denen er dringend bat, sie möge mit den Kindern ausharren, dort sei sie in Sicherheit, alles andere sei zu gefährlich. Und während die Mutter die Briefe las, weinte sie, weil sie ihren Mann so sehr vermisste und weil das Heimweh, ihre Sehnsucht nach ihren Verwandten in Essen mit jedem Tag wuchs – bis sie eines Tages, kurz vor Weihnachten, wieder in ihre Heimatstadt zurückkehrte. Bei einem Fliegerangriff erlitt sie eine Fehlgeburt, von der sie sich nicht mehr erholte. »Sie musste dann drei Monate ins Krankenhaus«, sagt ihre Tochter. »Ja, unserer Mutter ging es im Krieg sehr schlecht. Sie hielt es einfach

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