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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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möglicherweise das Kommunizieren von Anfang an nicht stattgefunden. Vielleicht wurde das Schweigen der Eltern doch nicht durch die Vorwurfshaltung der eigenen Kinder ausgelöst oder durch Scham- und Schuldgefühle, sondern es war schon vorher nie zu einem Dialog in den Familien gekommen.
    Ende der Siebzigerjahre dann – nicht zufällig der Beginn der Therapiewelle – waren die 68er bei sich selbst und ihren Beziehungsstörungen angekommen, wie sie Peter Schneider rückblickend in seinem Roman »Paarungen« beschrieb:
    Jeder vereinzelte sich, stahl sich mit seiner kleinen, mißtrauischen Liebe, mit seiner Trennung auf Probe in seinevier Wände davon, zeugte Kinder bei heruntergelassenen Jalousien. Heimlich traf man sich auf dem Standesamt, feierte Hochzeit vor dem Schreibtisch des Standesbeamten, im Kreis von zwei oder drei Freunden, auf deren Verschwiegenheit Verlaß war, und teilte anschließend auf umweltfreundlichen Karten die unfrohe Nachricht mit. Was war eine Hochzeit ohne Zeremoniell, ohne Pathos? Fragte man, wurde von Steuervorteilen geredet, von der notwendigen Rücksicht auf zukünftige Kinder, vom erwiesenen Scheitern alternativer Lebensformen. Selten, daß ein Paar den Entschluß zur Ehe mit dem einzigen Satz begründete, der des Anlasses würdig war: Wir lieben uns und wollen zusammenbleiben, und zwar, um es genau zu sagen, für immer!
Streit mit der Nazimutter
    Die Verwaltungsjuristin Renate Blank*, 1940 geboren, Mutter von zwei Kindern und zum zweiten Mal verheiratet, gehörte selbst zur rebellierenden Jugend in Berlin, obwohl sie 1968 keine Studentin mehr war, sondern versuchte, die Balance zwischen Beruf und Familie zu finden. »Nachdem mein Sohn geboren war«, erinnert sie sich, »kam meine Mutter und brachte mir diesen Haarer-Ratgeber aus der Nazizeit mit. Ich sah nur das Titelbild und hatte schon genug!« Es zeigte eine sehr deutsch aussehende Jungmutter, die ihr Kleinkind auf dem Arm hält, es aber nicht etwa anschaut, sondern statt dessen triumphierend in die Kamera blickt. Damals hatte Renate den Ratgeber nicht einmal aufgeschlagen, sondern nur zu ihrer Mutter gesagt: »Nimm den Schund wieder mit!« Dreißig Jahre später las sie das Buch von Sigrid Chamberlain, das sich mit ebendiesem »Schund« beschäftigte. »Und als ich die Fotos sah, die ja Zitate aus dem Haarer-Buch sind«, erzählt sie, »fiel es mir wie Schuppen von den Augen: diese distanzierten jungen Mütter mit ihren weißen, gestärkten Schürzen.Ich dachte vorher immer, das war die Macke von meiner Mutter.«
    Das Verhältnis zwischen Renate und ihrer Mutter war nie spannungsfrei. Noch als Erwachsene litt die Tochter unter den Folgen der demütigenden Erziehungsmethoden in ihrem Elternhaus. Als sie dann sah, dass Gerda Blank* als Oma bei ihren Enkeln genau da weitermachen wollte, wo sie bei ihren Kindern, als sie ihr entwachsen waren, eines Tages hatte aufhören müssen, kam es zum ersten großen offenen Streit und schließlich zum Bruch. – Jahre später dann entdeckte sie Sigrid Chamberlains Auseinandersetzung mit den Haarer-Büchern. Vor allem in dem Kapitel »Das Kind nicht riechen können« fand Renate eine Bestätigung dessen, was sie auf dem Höhepunkt ihres Streits der Mutter geschrieben hatte – in einem Brief, auf den nie eine Antwort gekommen war.
    Ich hatte während der folgenden zwanzig Jahre wenig Glück mit Freundinnen, und schon gar nicht mit Männern. Ich war mißtrauisch und zu sehr darauf bedacht, mich nicht zu entblößen. Alles, was mich zusammenhielt, war eine Fassade aus Lächeln und Lebhaftigkeit. Niemand, so glaubte ich, würde mich lieben können, wenn er mir erstmal wirklich nahe gekommen war. Auch dies, Mutter, ist unmittelbar die Folge Deiner Erziehungstaten. Du hattest mir klar gemacht, daß ich stinke. Das hast Du mir im Grunde nur hin und wieder gesagt, aber oft genug, um mich glauben zu machen, daß ein abscheulicher Geruch an mir hafte. Da Du mir nie, kein einziges Mal, das Gegenteil gesagt hast, mußte ich davon ausgehen, daß dies ein Dauerzustand an mir war, der offenbar weder durch eifriges Waschen noch Zähneputzen zu beseitigen war.
    Neben dem Reinlichkeitskampf sah die Nazipädagogin Johanna Haarer auch das Füttern als eine Schlacht an, die gewonnen werden musste. Sie verstand absolut nicht, dass Säuglinge ab einerbestimmten Entwicklungsstufe nicht mehr nur passiv sind, sondern die Dinge selbst in die Hand nehmen wollen, wobei dann gelegentlich der Spinat in Mamas Gesicht landet. Auf

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