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Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen

Titel: Die vergessene Generation: Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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schlugst du mich ins Gesicht. Es war auch gefährlich, in Deiner Gegenwart zu weinen, jedenfalls aus Verzweiflung oder Angst: das war für Dich kein Grund. Du sagtest immer: »Wer weint ohne Grund, der kriegt eine Ohrfeige, damit er weiß, warum er weint.«
    Ging mir etwas kaputt, oder hatte ich Dir einmal nicht gehorcht, setzte ich alles daran, Deine Wut zu mildern: mit Schmeichelei, mit Beschwichtigung, mit Selbstbezichtigung, mit Verschweigen, mit Lügen. Aber wehe, Du hastmich beim Lügen erwischt: Dann hast Du erst recht auf mich eingeprügelt. Wenn Du Deinen Erziehungsauftrag mit solcher Deutlichkeit spürtest (nämlich: man muß dem Kind das Lügen austreiben), gab es keinen Funken Gnade mehr. Dann hieß es: »Hol den Rohrstock, Renate – wir gehen in den Keller!«
    Es gab Pausen. Du hast mich nicht ständig geschlagen. Aber die Bedrohung blieb. Mit einer Ohrfeige war stets zu rechnen. Als ich erwachsen war, habe ich Dich einmal gefragt: »War ich ein aufmüpfiges Kind, schwer erziehbar, mißraten?«
    »Keineswegs«, sagtest Du. »Ich habe nicht in Erinnerung, daß du schwierig warst.«
    »Aber warum hast du mich dann so viel geschlagen?«
    »Renate, du übertreibst.«
    Natürlich gab es auch zu Haarers Zeiten Familien, in denen es nicht üblich war, Kinder zu verprügeln. Ihnen legte die Ärztin und Autorin nahe, dass »das schreiende und widerstrebende Kind, falls es sich weiterhin ungezogen aufführt, gewissermaßen ›kaltgestellt‹, in einen Raum verbracht wird, wo es allein sein kann und so lange nicht beachtet wird, bis es sein Verhalten ändert. Man glaubt gar nicht, wie früh und wie rasch ein Kind solches Vorgehen begreift.«
    Und man glaubt gar nicht, möchte ich hinzufügen, wie leicht man »ungezogene« Kinder, die in Wahrheit vom Krieg verstört waren, mit diesem Erziehungsstil lenken konnte: vom Horror des Luftschutzkellers in den Horror der dunklen Abstellkammer . . .
    Sigrid Chamberlain führt in ihrem Buch die Bestrafungsvielfalt der schwarzen Pädagogik auf, die durch Johanna Haarers Ratgeber noch einmal folgenreich autorisiert worden war. Dass »Schläge noch keinem Kind geschadet« haben, wurde als Merksatz nicht nur in den Familien von Generation zu Generation weitergereicht, sondern auch in der Institution Schule. Bis in dieSiebzigerjahre hinein konnten gewalttätige Lehrer ungebremst ihre Schreckensherrschaft aufrechterhalten, obwohl ihre Kollegen und auch die Eltern genau Bescheid wussten; so lange hielt sich eine Erziehungskultur, wonach ein prügelnder Lehrer keinen Gegenwind zu befürchten hatte.
    In Erinnerungen an die Nazivergangenheit taucht er immer wieder auf. Ein typisches Exemplar beschrieb der Kölner Architekt Peter Busmann auf der Jahrestagung des »Ordens Pour le Mérite« im Juni 2003 in Berlin. In seinen Vortrag »Architektur im Schnittpunkt von Zerstörung und Überleben« baute er ein zentrales Kindheitserlebnis ein, das es verdient, weitererzählt zu werden:
    Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die ich 1943 als Kind in Kiel erlebt habe: Stellen Sie sich ein häßliches kasernenartiges Schulgebäude vor und da den Schulhof während der Pause. Ich prügle mich mit einem Klassenkameraden, und wie das Schicksal es will, liege ich gerade in dem Moment über meinem Gegner, als wir beide in eines der Souterrain-Fenster fallen, dessen Glasscheiben mit lautem Klirren zu Bruch gehen.
    Kaum bin ich wieder auf den Beinen, werde ich von einer schadenfroh grölenden Horde zum aufsichtführenden Lehrer gestoßen. Der nimmt mich wortlos mit in das Klassenzimmer, entnimmt dem Schrank einen Rohrstock, schlägt mich aber nicht, fährt nur mit dem Daumen fast liebevoll über das Marterinstrument und sagt: »Morgen, Freundchen . . .«
    Wieder losgelassen, bin ich allein mit meiner Angst und den jagenden herzklopfenden Gedanken, deren Mittelpunkt nicht so sehr die bevorstehende Züchtigung ist wie die Scham, »es« zu Hause erzählen zu müssen.
    Zu Hause bringe ich kein Wort heraus.
    In der Nacht werden wir von heulenden Sirenen aus dem Schlaf gerissen. Fliegeralarm jagt uns alle in den Keller,fragwürdiger Schutz im Getöse von FLAK- und Bombentreffern.
    Unser Block bleibt dieses Mal noch verschont, und ich muß mich am nächsten Morgen mit bleischwerem Herzen auf den Weg zur Schule machen. Von der letzten Straßenbiegung sind es noch wenige Schritte bis zur Schule, als ich aufblicke, kann ich es nicht fassen: Die Schule ist weg. Anstelle des gewohnten Backsteinmassivs

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