Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vergessene Insel

Die vergessene Insel

Titel: Die vergessene Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
»Was
ist los mit dir? Bekommt dir die Sonne nicht, oder
kriegst du den Gefängniskoller?«
Mike ignorierte die spitze Bemerkung. Rasch und mit
knappen Worten berichtete er, was gerade in seiner
Kabine geschehen war. Juan und die beiden anderen
hörten ihm mit wachsender Aufregung zu.
»Bist du sicher, daß du dich nicht getäuscht hast?«
fragte André schließlich.
»Natürlich nicht«, antwortete Mike giftig. »Ich habe
ein Schläfchen gehalten und das alles nur geträumt,
was denkst du denn?«
André funkelte ihn zornig an, aber Juan gebot ihm
mit einer Handbewegung zu schweigen. »Hast du das
auch gehört?« wandte er sich an Chris.
»Nein«, sagte Chris. Er starrte Mike aus großen Augen an, und Mike fügte hinzu:
»Er hat wirklich geschlafen.«
»Wie üblich«, seufzte Juan. Er überlegte einen Moment. »Und du hast den Mann wirklich noch nie an
Bord gesehen?« fragte er schließlich.
Mike verneinte. »Ganz bestimmt nicht«, sagte er.
»Aber er kam mir trotzdem irgendwie bekannt...« Er
brach mitten im Wort ab. »Ich bin ein Idiot!« sagte er
dann.
Juan nickte. »Meine Rede«, sagte er ungerührt. »Aber
würdest du uns vielleicht erklären, wieso dir das erst
jetzt auffällt - und in diesem speziellen Fall?«
»Ich weiß, woher ich ihn kenne!« sagte Mike. »Erinnert ihr euch an den Morgen im Hafen? Als das Schiff
uns gerammt hat? Er war da!«
»Auf dem Schiff?« fragte Ben zweifelnd.
»Auf dem
Kai!« antwortete Mike aufgeregt. »Die
Schlägerei! Erinnert euch! Ich bin ganz sicher, daß es
derselbe Mann ist, über den die Arbeiter hergefallen
sind!«
»Das ist unmöglich!« sagte Ben. »Sie haben ihn weggezerrt. Selbst wenn sie ihn am Leben gelassen haben,
war er bestimmt nicht mehr in der Lage, an Bord dieses Schiffes zu schleichen. Und außerdem - warum
sollte er uns helfen?«
»Warum nicht?« erwiderte Mike. »Er könnte immerhin -«
Die Tür wurde aufgerissen, und Mike verstummte erschrocken mitten im Wort und drehte sich herum. Es
war einer der beiden Soldaten, die draußen auf dem
Gang Wache gehalten hatten.
Der Mann warf einen mißtrauischen Blick in die Runde, dann wandte er sich an Mike, und auf seinem Gesicht erschien ein spöttisches Lächeln. »Wenn ihr mit
eurer kleinen Revolution fertig seid, dann komm bitte
mit. Der Kapitän will dich sprechen«, sagte er in ausgezeichnetem Englisch.
Mike gehorchte, widerstrebend und von dem sicheren
Gefühl erfüllt, daß die Männer genau wußten, was gerade in seiner Kabine geschehen war. Er warf noch
einen Blick zu Juan und den anderen zurück. Keiner
sagte ein Wort, aber sie sahen sehr erschrocken drein.
Vielleicht war es das erste Mal seit langer Zeit, dachte
Mike, daß ihnen wieder ins Bewußtsein zurückgerufen wurde, was sie wirklich waren: nichts als Gefangene, die nicht den geringsten Einfluß auf ihr eigenes
Schicksal nehmen konnten.
    Kapitän Winterfeld erwartete ihn wie immer in der
Kapitänskajüte. Er trug auch heute nicht seine Uniform, sondern einen einfachen grauen Anzug, der
Mike für die fast hochsommerlichen Temperaturen draußen viel zu warm erschien - aber etwas war doch anders: sein Gesichtsausdruck. Winterfeld wirkte sehr
zufrieden. Mike nahm sich vor, auf der Hut zu sein.
»Setz dich, Michael!« sagte Winterfeld aufgeräumt.
»Wie geht es dir? Alles in Ordnung bei dir und deinen
Freunden?«
Mike setzte sich gehorsam, antwortete aber nicht. Winterfeld stellte diese Fragen jedes Mal, wenn sie sich sahen, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Wahrscheinlich waren sie nur Ausdruck seines schlechten
Gewissens. Statt dessen sah er neugierig auf den
Schreibtisch des
Kapitäns. Anstelle des üblichen
Durcheinanders von Papieren lag diesmal nur ein einziges, engbeschriebenes Blatt darauf - und die Seekarte, die Winterfeld ihm schon in England gezeigt hatte.
»Ich habe gute Nachrichten, denke ich«, begann Winterfeld, nachdem auch er
Platz genommen hatte.
»Vielleicht dauert eure Gefangenschaft jetzt nicht
mehr sehr lange.«
Mike sagte noch immer nichts, sah aber Winterfeld
sehr aufmerksam an. Ihm fiel auf, daß das
Aussehen
des Offiziers in krassem Gegensatz zu seinem fröhlichen Benehmen stand: Winterfeld war blaß. Unter sei
    nen Augen lagen Ringe, und seine Bewegungen waren
ein wenig fahrig.
»Es ist uns gelungen, den Code zu entschlüsseln«, fuhr
Winterfeld fort. »Ich muß mich bei dir entschuldigen.
Wie mir die Spezialisten versichert haben, konntest
du unmöglich wissen, wie die Geheimschrift zu entziffern ist.« Eine winzige Pause,

Weitere Kostenlose Bücher