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Die vergessene Insel

Die vergessene Insel

Titel: Die vergessene Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bewegte sich vorsichtig in die schwarze Qualmwolke hinein, in der es immer wieder weiß und orangerot aufloderte. Asche, glühendheiße Luft und brennende Stoffetzen wehten ihm entgegen, und das Deck
unter seinen nackten Füßen war bereits unangenehm
warm. Ein Blick nach oben zeigte ihm, daß das Segel
noch nicht Feuer gefangen hatte. Aber das allein war
schon ein kleines Wunder, und es war nur noch eine
Frage von Augenblicken, bis es geschehen würde.
Die Hitze machte ihm das Atmen schwer und trieb
ihm die Tränen in die Augen, so daß er kaum noch
sah, was vor ihm lag, sondern halb blind auf das Zentrum des lodernden weißen Lichtes zustolperte. Er
war sich der Gefahr, in der sie allesamt schwebten,
    auf eine sonderbar distanzierte Art bewußt, fast als
wäre er nur ein unbeteiligter Zuschauer, und außerdem erschien ihm die Vorstellung, auf einem Schiff
auf hoher See zu verbrennen, so absurd, daß er Mühe
hatte, gegen ein hysterisches Lachen anzukämpfen.
Mike hatte fast das Heck der Jacht erreicht, als ihm
klarwurde, daß es gar nicht das Schiff war, das brannte. Die Flammen schlugen aus dem kleinen Beiboot,
das an einem Tau achtern angebracht war, aber sie
brannten so hoch und mit solch wütender Kraft, daß
es sich nur noch um Augenblicke handeln konnte, bis
sie auf die Jacht selbst übergriffen. Taumelnd und
mühsam um jeden Atemzug kämpfend, erreichte er
das Heck, fiel auf die Knie und versuchte das Tau zu
lösen, mit dem das kleine Ruderboot festgebunden
war.
Mike schrie vor Schmerz, als seine Finger das Metall
der niedrigen Reling berührten. Es war glühend heiß.
Eine Sekunde lang hockte er wimmernd da und preßte die versengten Handflächen gegen den Leib, dann
biß er die Zähne zusammen und versuchte es nocheinmal.
Es war aussichtslos. Der Knoten hatte sich so festgezogen, daß Mike eine Brechstange gebraucht hätte, um
ihn aufzubekommen, und er konnte nicht einmal richtig zupacken, denn auch das Tau selbst war mittlerweile so heiß, daß seine Berührung weh tat. Außerdem hatte der Wind gedreht, so daß die Flammen nun
direkt in seine Richtung züngelten. Trotzdem riß und
zerrte er verzweifelt weiter an dem Tau; mit dem einzigen Ergebnis allerdings, daß er sich die Fingernägel
abbrach und Blut über seine versengten Hände lief.
Hinter ihm wurden aufgeregte Stimmen laut. Schreie
und das hastige Poltern von Schritten drangen durch
das Prasseln der Flammen zu ihm. Das Holz unmittel
    bar vor ihm war bereits schwarz, und in dem gesprungenen Lack begannen sich die
ersten
kleinen
Glutnester festzusetzen. Noch eine Minute, allerhöchstens, und die Reling würde aufflammen wie ein
Stück trockener Zunder. Mike raffte noch einmal all
seine Kraft zusammen und zerrte mit aller Gewalt an
dem Knoten. Aber er wußte, daß er es nicht schaffen
würde.
Und dann war plötzlich Singh neben ihm. Mit einer
Hand packte er Mike, riß ihn in die Höhe, in der anderen hielt er einen Dolch. Der Stahl durchtrennte
das Tau, und die Strömung, die das Boot bis jetzt unruhig auf der
Stelle hatte hüpfen lassen, ergriff es sofort und trieb es davon. Die Flammen, die noch vor einer Sekunde wie die gierigen Hände eines tausendfingrigen glühenden Ungeheuers nach dem Schiff gezüngelt hatten, griffen plötzlich ins Leere, und der Qualm
begann sich zu lichten. Mike konnte wieder atmen.
Alles begann sich um ihn zu drehen. Er hustete qualvoll, wankte und wäre zusammengebrochen, hätte
Singh ihn nicht im letzten Moment aufgefangen. Ihm
war entsetzlich übel, und er begann die Schmerzen in
seinen Händen und die Atemnot erst jetzt richtig zu
spüren.
Durch einen Schleier aus Tränen und
Schwäche nahm er wahr, wie plötzlich auch die fünf
anderen und Miß McCrooder neben ihm auftauchten
und ihn mit Fragen zu bestürmen begannen. Aber er
war viel zu schwach, um zu antworten. Er verstand
nicht einmal die einzelnen Worte.
»Laßt ihn in Ruhe!« sagte Miß McCrooder schließlich.
»Seht ihr denn nicht, wie es ihm geht? Er ist -« Sie
brach ab. Mike hörte, wie sie scharf die Luft einsog.
»Deine Hände!« sagte sie erschrocken. »Mein Gott,
Mike - was ist mit deinen Händen?«
Mike antwortete auch darauf nicht - aber er konnte
    einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken, als sie
nach seinen Händen griff, um sie zu begutachten.
»Schnell!«
sagte
sie. »Helft mir, ihn unter Deck zu
bringen! Wir müssen ihn versorgen.«
Mike wußte nicht, wer es war, der ihn unter den Armen ergriff und mehr unter Deck trug, als er ihn führte; er war

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