Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vergessene Insel

Die vergessene Insel

Titel: Die vergessene Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
auf dem Meer meilenweit«, sagte er.
»Noch dazu nachts.« Er seufzte. »Es wird gleich hell.
Wir müssen die Segel setzen. Ich bin ziemlich sicher,
daß wir bald Gesellschaft bekommen.«
Singh behielt recht. Nicht einmal zehn Minuten später
begann der erste graue Schimmer der Dämmerung
das Samtblau der Nacht zu zersetzen, und sie segelten
los. Und als das Licht heller wurde und sie weiter sehen konnten, erblickten sie die LEOPOLD, die weniger als fünf Meilen entfernt war und mit voller Kraft
auf die kleine Segeljacht zuhielt.
    Ungeachtet seiner indischen Abstammung hatte Mike
nie an ein vorherbestimmtes Schicksal geglaubt oder
gar daran, daß es irgendwelche Mächte gab, die dieses
Schicksal steuerten und sich irgendwie um das Tun
und Sein der Menschen kümmerten. Aber wenn es sie
gab, dachte er, dann hatten sie einen besonders bizarren Sinn für Humor und eine Schwäche für grausame
Scherze.
Ihre verzweifelte Flucht dauerte nunmehr gute vier
Stunden. Die LEOPOLD war in dieser Zeit ein halbes
dutzendmal so nahe gekommen, daß sie die Gestalten
an Deck des riesigen Kriegsschiffes erkennen konnten, und ebensooft so weit zurückgefallen, daß sie
kaum mehr ein Schatten auf dem Horizont gewesen
war.
Das Schlachtschiff war sehr viel schneller als die kleine Segeljacht, aber Singh hatte sich als überaus geschickter Steuermann erwiesen, und es war ihm immer wieder gelungen, eine Fahrrinne in dem Labyrinth aus winzigen Inselchen und Atollen zu entdecken, die zu flach für den gepanzerten Giganten
war, oder eine Passage zwischen zwei Riffen, durch
die sie hindurchschlüpfen konnten, während ihr Verfolger das Hindernis weitläufig umschiffen mußte und
dabei wertvolle Zeit verlor. Singh hatte mit dem deutschen Kriegsschiff regelrecht Katz und Maus gespielt.
Zwei- oder dreimal hatten sie
sogar ernsthaft geglaubt, der LEOPOLD entkommen zu sein, aber das
Schiff war stets wie ein Gespenst wieder hinter ihnen
erschienen, ein unheimlicher, riesiger Verfolger, den
sie einfach nicht abschütteln konnten, ganz egal, wie
sehr sie es auch versuchten. Aber nun war ihre
Glückssträhne endgültig zu Ende. Sie hatten die Gruppe aus Inseln und Korallenriffen hinter sich gelassen
und wieder Kurs auf offene Gewässer genommen, und
in diesen war die LEOPOLD mit ihren mächtigen Maschinen der Jacht haushoch überlegen. Sie kam immer näher.
Vielleicht hätte Mike den Gedanken, dieses Rennen
am Ende doch zu verlieren, sogar noch akzeptiert,
denn er bildete sich nicht ernsthaft ein, das Glück gepachtet zu haben. Was es ihm - und allen anderen
auch - so schwermachte, sich in die scheinbar unvermeidliche Niederlage zu schicken, war der Umstand,
daß sie ihr Ziel beinahe erreicht hatten. Vor einer
halben Stunde hatte Singh wortlos auf einen Schatten
gedeutet, der vor ihnen auf dem Horizont erschienen
war, und obwohl er kein einziges Wort gesagt hatte,
wußte Mike, was vor ihnen lag.
Die Vergessene Insel.
Der Anblick erfüllte Mike mit Zorn und Enttäuschung, die ihm fast die Tränen in die Augen trieb.
Während der letzten halben Stunde war aus dem
Punkt am Horizont eine gewaltige Felseninsel geworden, die sich wie eine von der Hand der Natur erschaffene, uneinnehmbare Festung aus dem Meer erhob. Mike schätzte ihre Größe auf eine gute Meile. Ihre Flanken erhoben sich nahezu senkrecht aus dem
Wasser, das sich in tosender Gischt an den Felsen
brach, und wenn man genau hinsah, konnte man die
verräterischen Wellen erkennen, die sich schon etliche Dutzend Meter davor auf der Wasseroberfläche
bildeten. Die Insel mußte von einem wahren Schutzwall aus Riffen und unterseeischen Felsen umgeben
sein, der es nahezu unmöglich machte, sich ihr zu
nähern, geschweige denn, an Land zu gehen. Doch
selbst, wenn es ihn nicht gegeben hätte - sosehr sich
Mike auch anstrengte, er konnte nirgends etwas wie
einen Strand erkennen, keine Bucht, kein Fleckchen,
an denen die Wellen nicht mit furchtbarer Wucht gegen den Fels brandeten. Jeder Versuch, die Insel anzulaufen, konnte nur in
einer Katastrophe
enden.
Vielleicht gab es auf der anderen Seite des Eilandes
eine Möglichkeit, es zu erreichen, ohne daß das Schiff
vorher von Riffen aufgeschlitzt und anschließend gegen die Steilküste geworfen und zerschmettert
wurde,
aber Mike wußte, daß ihnen nicht mehr die Zeit blieb,
danach zu suchen. Die LEOPOLD hatte sie fast eingeholt.
Er drehte sich herum und sah zu Winterfelds
Schlachtschiff zurück, wie er es in den letzten zehn
Minuten unzählige Male getan

Weitere Kostenlose Bücher