Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
sich einen Stuhl heran und setzte sich mit ausdrucksloser Miene, um ihren Eintopf zu essen.
Aus dem Gang hörte man eilige Schritte, kurz darauf kam eine alte Frau im schwarzen Poncho herein, eine der Kundschafterinnen. Atemlos begann sie, Quechua zu sprechen, doch Aclla unterbrach sie.
»Du musst Englisch sprechen, damit er dich auch versteht«, sagte sie.
Die Kundschafterin war mittelgroß, runzelig, hatte graues Haar und einen guten Knochenbau. Sie war bestimmt über fünfzig, und trotz ihres Alters wirkte sie nervös. Wilson fragte sich, ob sie einmal zu den Kriegerinnen gehört hatte.
»Ich bringe Nachricht von unseren Beobachtern in Cusco«, sagte sie und atmete ein paar Mal tief durch. Ihre Aussprache glich der von Aclla, und ebenso wie diese schien sie die Konsonanten zu verzerren.
»Fahr fort«, sagte Aclla.
»Über zweihundertfünfzig Soldaten patrouillieren in der Stadt«, berichtete sie. »Und weitere sind von Lima unterwegs. Die werden in den nächsten zwei Tagen in Cusco eintreffen.«
»Gewöhnlich sind höchstens hundert in der Stadt«, sagte Aclla.
Die alte Frau fuhr fort. »Sie haben einen Schutzring um das Zentrum gelegt. Vor den Kirchen und Geschäften am Rand der Plaza de Armas sind Sandsäcke aufgeschichtet. Der Platz wird Tag und Nacht bewacht.«
»Dann muss der Würfel dort sein«, schloss Aclla.
»Es herrscht große Angst unter den Einwohnern. Sie suchen die Sicherheit des Platzes und der Kirchen, aber die Soldaten lassen niemanden durch. Jeder hat Angst, über Nacht ermordet zu werden, denn das passiert in einem fort.« Sie stockte kurz. »Vor ein paar Stunden wurde der Mann namens Hiram Bingham festgenommen.«
Wilson wurde flau im Magen.
»Er wurde von dem Führer Ompeta nach Cusco gebracht und direkt von zwanzig Bewaffneten, die ihn vor sich herstießen, in die Kaserne gebracht. Dort wurde er an die Außenmauer gekettet und vom Hauptmann der Kompanie ausgepeitscht, bis er unter den Hieben zusammensackte. Sie wollten ihn zwingen, diesen Mann da zu verraten.« Sie zeigte auf Wilson.
»Wie heißt der Hauptmann«, fragte Wilson.
»Gonzales.«
Wie es schien, zog das Schicksal die Schlinge enger.
Aclla machte ein finsteres Gesicht. »Das ist eine schlechte Nachricht. Durch Hiram Binghams Gedanken werden sie nun wissen, dass du bei uns bist.« Ihre Miene war kalt und berechnend. »Und sie wissen, dass wir kommen.«
Wilson stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. »Das musst du mir erklären.«
»Weil Hiram Bingham mit dir zusammen war, ist alles, was er gesehen hat, dem Geist des Würfels bekannt. Der sah nun folglich, wie wir mithilfe unserer Springstäbe den Fluss überquert haben, er sah uns, nachdem du die Brücke des Kondors abgeschnitten hattest. Alles, was du ihm verraten hast, ist nun Teil des Kollektivs. Hiram Bingham ist jetzt Teil des Informationsnetzes, das die Macht des Würfels stützt.«
»Hiram kann meine Gedanken nicht lesen«, erwiderte Wilson. »Und der Würfel ebenso wenig.«
»Das vermuten wir«, sagte Aclla. »Aber auch sonst hat dein Freund selbst genug gesehen, sodass wir unseren Vorteil jetzt eingebüßt haben.« Sie wandte sich an Sontane. »Geh und sag den Wächterinnen, sie sollen den Ring um den Berg vergrößern. Ich will hier nicht angegriffen werden und keinen Fluchtweg haben.«
»Wir sollten eine Kriegerin nach Cusco schicken, damit sie Hiram Bingham tötet«, schlug Sontane vor. »Das ist für uns das Beste.«
Wilson musste lange warten, bis Aclla darauf antwortete.
»Durch seine Verbindung mit dir ist er für uns eine Belastung«, sagte sie schließlich.
»Kommt nicht infrage!«, platzte Wilson heraus. »Ihr dürft ihn nicht töten! Er ist für die Entwicklung der Geschichte von entscheidender Bedeutung.«
»Und warum?« Aclla sah ihn von oben herab an.
»Er ist der Grund, warum ich durch die Zeit hierher gereist bin. Hiram Bingham ist der Bewahrer der Inka-Stätten und ihrer Geheimnisse.« Wilson konnte nicht sicher sein, dass das wirklich noch stimmte, da sich der Verlauf der Geschichte bereits geändert hatte. Dennoch spürte er, dass Bingham noch eine entscheidende Rolle spielte. »Er ist wichtig für die Zukunft«, bekräftigte er.
»Der Mann ist ein Narr!«, fuhr Sontane dazwischen.
Wilson fühlte ein Brennen im Bauch, als hätte jemand seine Mutter beleidigt. »Dir steht es nicht zu, zu beurteilen, wer ein Narr ist und wer nicht! Du weißt nicht, was wichtig ist, Kriegerin! Ich bin viele Generationen zurückgereist, um
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