Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube
Stundenkilometer, was nach Helenas Meinung viel zu langsam war – da lief sie ja fast schneller. Und zu allem Überfluss hatte sie schreckliche Kopfschmerzen.
Du musst optimistisch bleiben, sagte sie sich.
Am Tisch hinter ihr wurden frische Käsecroissants serviert, und bei dem Butterduft wurde ihr leicht übel. Sie blickte aus dem Fenster und versuchte, die schöne Aussicht zu genießen, die draußen vorbeizog.
Es war lange her, seit Wilson sich aus ihrem Leben wegtransportiert und sie wartend zurückgelassen hatte. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie sich verlassen und allein fühlte. Sie erzählte jedem um sie herum, wie es ihr damit ging, und verbarg dabei den wahren Grund ihres Kummers. Niemand würde je glauben, dass sie einem Zeitreisenden begegnet war – unmöglich. Wie sollte jemand eine so alberne Behauptung auch akzeptieren können? Trotzdem war sie wahr. Glücklicherweise hatte Helena es aufgegeben, diese Wahrheit mit anderen zu teilen, und seitdem war ihr Leben einfacher. Bei so unglaublichen Dingen war es besser zu lügen, als etwas erklären zu wollen, was sowieso niemand begreifen konnte.
Dass sie den Zeitreisenden Wilson Dowling kennengelernt hatte, war zugleich das Beste und das Schlimmste, was ihr im Leben passiert war, auch wenn zurzeit die Nachteile zu überwiegen schienen.
Aus einer Reißverschlusstasche ihrer Wanderweste zog sie die ägyptische Münze hervor, die Wilson ihr geschenkt hatte. Angeblich war sie ein Bindeglied zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Wütend drückte sie sie zwischen den Fingern. War es ihr bestimmt, sich den Rest ihrer Tage zu fragen, ob sie Wilson je wiedersähe? Vor gut einem Jahr war er in ihre Welt gekommen, hatte seinen Auftrag ausgeführt und sie dann zurückgelassen wie ein Tourist einen Sommerflirt. Er hatte behauptet, durch die Zeit gereist zu sein, obwohl schon die Vorstellung völlig verrückt war. Und doch wusste Helena, dass er die Wahrheit sagte – sie hatte Dinge miterlebt, die anders nicht zu erklären waren. Wilson Dowling gebot über Kräfte, die nur mit einer immensen Kenntnis über die Zukunft zusammenhängen konnten. Ganz sicher war er der Aufseher, wie er behauptete; daran hatte sie keinen Zweifel.
Helena sah wieder aus dem Fenster und wünschte, der Zug würde schneller fahren. Sie war eine schöne Frau, und das wurde auch von den Mitreisenden und dem Zugpersonal bemerkt, die diesen Orient-Express am Morgen bestiegen hatten. Ihre Körperhaltung war hervorragend, und ihr feingeschnittenes Gesicht und ihr schlanker, durchtrainierter Körper zogen viele Blicke auf sich. Sie nahm die Baseballkappe ab, löste den Pferdeschwanz und ließ die Haare nach vorn fallen. Einige Passagiere drehten sich nach ihr um, aber Helena beachtete sie nicht. Seit ihrer Kindheit war sie es gewohnt, von Männern wie von Frauen angestarrt zu werden. Jeder fragte sich, was sie an sich hatte, das sie so anziehend machte – denn es war nicht ihre Schönheit allein. Helena hatte eine unglaubliche Präsenz, und ihre Lebenskraft schien förmlich aus ihr zu leuchten. Wer Helena ansah, wusste, dass sie stark und gesund war. Und je länger sie jemand ansah, desto weniger wollte er damit aufhören.
Helena Capriartys Nerven waren angespannt, doch der äußere Schein verriet nichts von ihren aufgewühlten Gefühlen. Helena hatte sich etwas vorgenommen, und nichts würde sie davon abbringen können, eine Verbindung zu Wilson zu finden.
Nachdem sie sich etwa eine Minute lang die Schläfen massiert hatte, um ihre Kopfschmerzen zu lindern, setzte sie die Baseballkappe wieder auf und trank einen Schluck von dem dampfenden Koka-Tee, der vor ihr stand. Das lokale Getränk, das Spuren von Kokain enthielt, linderte angeblich die Symptome der Höhenkrankheit. Und Helena hoffte, sich bald besser zu fühlen.
Auf der anderen Seite des Ganges saß Pablo Escator, ihr Führer. Jedem, der im Hiram-Bingham-Express zum Machu Picchu fuhr, wurde ein Führer zugewiesen, vorausgesetzt, man blieb wenigstens zwei Nächte in der Machu Picchu Sanctuary Lodge, dem Fünf-Sterne-Hotel, das direkt neben der alten Inka-Stadt auf einem Berg stand.
Gegenüber von Pablo saß Helenas Leibwächterin, Chad Chadwick, angeblich die Beste ihres Fachs. Helenas Vater hatte auf einem Aufpasser bestanden, als sie allein nach Südamerika wollte – und Lawrence hatte nicht nachgegeben, bis er seinen Willen bekam. Sie war sein einziges Kind, und er nutzte seinen Reichtum, um sie zu beschützen, auch gegen
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