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Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube

Titel: Die vergessene Sonne - Ride, C: Die vergessene Sonne - The Inca Cube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ride
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Qual wollte er seinen Gott anflehen, ihn aus dieser grauenvollen Lage zu befreien, doch er wusste nicht mehr, zu welchem Gott er beten sollte. Er zweifelte allmählich, ob es einen Gott gab. Wenn ja, dann konnte er doch nicht zulassen, dass in seinem Namen solche Verbrechen begangen wurden.
    Gott ist gnädig, Gott ist groß, sagte er sich in der Hoffnung, dass seine Gebete auf wunderbare Weise erhört würden.
    Gibt es einen, der mich aus diesem Schrecken erlösen kann?, fragte er sich.
    Es gab nur eine Hoffnung für ihn, und das war dieser Wilson Dowling, der schwer zu fassende Ausländer, den Pizarro als Einzigen fürchtete. Er hatte bekannt, dass er nicht in die Seele des Fremden blicken konnte. Ein Mann, der eine so dunkle Seele hatte, konnte sicher auch das Böse vernichten, das gerade über den Leib des Bischofs kroch. Wilson Dowling würde ganz sicher nach Cusco kommen – Pizarro hatte befohlen, alle Zugänge zur Stadt bewachen zu lassen.
    Er ist meine einzige Hoffnung.
    Der Bischof kniete sich in die Pfützen auf dem Boden. Unter ihm lag die tote Vivane, eine Inka-Kriegerin. Er spürte, dass der Wahnsinn sich seiner bemächtigen würde, und legte zögernd die Hände auf ihre tote, kalte Haut. In diesem Moment wünschte er sich, seinem Leben ein Ende machen zu können. Er hätte seine Seele geopfert, nur um dieser Hölle zu entkommen.
    Du musst mich töten, Wilson Dowling, sagte er zu sich. All meine Gebete werden erhört, wenn du mich niederstreckst.
    Eine andere Hoffnung gab es in seinem Leben nicht mehr – nur den abstrakten Traum von einem Mann, den er nie gesehen hatte, von einem Mann, dessen Seele schwarz war wie die Nacht.

39.
    A NDEN , P ERU A MARUPATA O RTSZEIT : 20.05 U HR 21. J ANUAR 1908
    Es regnete stark, als Wilson am Fuß des Amarupata stand und den Steilhang hinaufblickte, der in der stürmischen Dunkelheit aufragte. Er überlegte, ob er diese schwierige Kletterei über zwölfhundert Meter wagen sollte. Die andere Möglichkeit war, sich Pitcos von Westen her zu nähern, über einen in den Hang gehauenen Pfad, der einfacher zu begehen war, aber wahrscheinlich bewacht wurde. Als er die Hände an den Felshang legte, spürte er das Wasser, das daran herabfloss. Er fragte sich, ob er sich an dem nassen Gestein überhaupt festhalten konnte.
    Er hatte Machu Picchu mit Bingham zusammen verlassen und ihn zu dem bescheidenen Waisenhaus von Vater Marcos gebracht, das zu der Kirche am Ufer des Urubamba gehörte. Sie hatten fast einen ganzen Tag gebraucht, um die viereinhalb Kilometer über den Bergkamm zurückzulegen und zu dem gefährlichen Pfad zu gelangen, der in Serpentinen zum Fluss hinabführte.
    Vater Marcos war überaus entgegenkommend gewesen und hatte ihnen die erste warme Mahlzeit seit fünf Tagen vorgesetzt und auch ein warmes Bett zur Verfügung gestellt. Zu Binghams großer Erleichterung hatte Vater Marcos sogar eine Flasche Whiskey und reichlich Tabak gehabt, sodass sich die Nerven des Amerikaners etwas entspannen konnten. Das Waisenhaus wurde von drei spanischen Nonnen geführt, die sich um vierzig Mestizenkinder im Alter von zwei bis sechzehn kümmerten. Fast alle waren von ihren Eltern im Stich gelassen worden, doch die Kinder glaubten lieber, dass ihre Erzeuger in den Bergen ums Leben gekommen waren. Wilson war Vater Marcos so dankbar für seine Gastfreundschaft und das warme Essen, dass er ihm drei Goldmünzen für seine Kirche gab. Dann gab er ihm eine vierte Goldmünze und bat ihn dringend, für Bingham einen Führer zu besorgen, der diesen so bald wie möglich nach Cusco zurückbrächte.
    Vater Marcos wollte sich weigern, das Geld zu nehmen, aber Wilson wusste, es war sein Stolz, der ihn dazu trieb, und nicht die Bedürftigkeit seiner Waisen. Am Ende konnte sich Wilson durchsetzen, und der Geistliche nahm die Münzen im Namen des Allmächtigen.
    »Ich kenne einen Führer, Ompeta heißt er. Der kommt ab und zu hier vorbei«, sagte Vater Marcos, der seinen mageren Körper in eine einfache schwarze Soutane hüllte und ein Holzkreuz um den Hals trug. Mit seinen über sechzig Jahren hatte er ein schmales Gesicht und einen langen grauen Bart. Er war ein freundlicher, sanfter Mann, und die Kinder mochten ihn sehr.
    »Ompeta bringt uns Vorräte und Kleidung aus Cusco«, erzählte Vater Marcos lächelnd und entblößte dabei seine Zähne, die vom Tabak fleckig waren. »Wenn er das nächste Mal vorbeikommt, soll er Ihren Freund nach Cusco mitnehmen. Ompeta ist ein guter Mensch, obwohl er

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