Die Vergessene Welt
»Sie mir sagen, und ich tun!«
Das war eine Frage, die leichter gestellt als beantwortet
war. Nur eines stand fest. Er war unser einziges zuverlässiges
Verbindungsglied zur Außenwelt. Er durfte uns unter keinen
Umständen verlassen.
»Nein, nein«, rief er, als habe er unsere Gedanken erraten.
»Ich Sie nicht verlassen. Was auch passieren, Sie mich immer
hier finden. Aber ich nicht kann Indianer hier festhalten. Sie
schon sagen, zu viel Curupuri hier. Und sie nach Hause gehen.
Ich nicht können halten.«
Es stimmte, unsere Indianer hatten in letzter Zeit auf
verschiedenste Art gezeigt, daß sie umkehren wollten. Wir
wußten, daß Zambo die Wahrheit sagte und daß es für ihn
unmöglich war, sie zurückzuhalten.
»Zwing sie, bis morgen zu warten, Zambo«, brüllte ich,
»dann kann ich ihnen einen Brief mitgeben.«
»Gut, Herr! Ich versprechen, sie bis morgen warten«, sagte
der Neger. »Aber was ich jetzt für Sie tun?«
Es gab eine Menge für ihn zu tun, und der treue Bursche
erledigte alles gewissenhaft. Zuallererst löste er unter unserer
Anleitung das Seil vom Baumstamm und warf uns das eine
Ende herüber. Es war nicht dicker als eine Wäscheleine, aber
sehr stark. Wenn wir es auch nicht als Brücke benutzen
konnten, so mochte es uns doch unschätzbare Dienste leisten,
falls wir noch irgendwelche Klettertouren zu bewältigen
hatten. Dann befestigte er an seinem Seilende das Paket mit
Verpflegung, das noch drüben lag, und wir konnten es zu uns
herüberziehen. So hatten wir Lebensmittel für wenigstens eine
Woche. Anschließend stieg Zambo hinunter und brachte eine
Munitionskiste und etliche andere Sachen herauf; wir holten
uns alles mit dem Seil herüber.
Als er endgültig abstieg, war es schon Abend. Zum Schluß
versprach er nochmals, die Indianer bis zum nächsten Morgen
aufzuhalten, und ich habe deshalb die ganze erste Nacht auf dem
Plateau damit zugebracht, beim Schein eines Windlichts
unsere Erlebnisse aufzuzeichnen.
Wir aßen zu Abend und lagerten dicht am Rande der
Klippen; unseren Durst löschten wir mit zwei Flaschen
Apollinaris, die in einer der Kisten lagen. Es ist lebenswichtig
für uns, Wasser zu finden, aber keiner von uns war dazu
aufgelegt, den ersten Vorstoß ins Unbekannte noch an diesem
Abend zu unternehmen. Wir vermieden es, ein Feuer zu
entfachen oder unnötig laut zu sein.
Morgen oder richtiger heute, denn der Morgen dämmert
bereits, während ich dies schreibe, werden wir uns zum
erstenmal in dieses merkwürdige Land hineinwagen. Wann ich
wieder zum Schreiben komme – oder ob ich überhaupt jemals
wieder schreiben werde –, weiß ich nicht. Im Augenblick kann
ich nur sehen, daß die Indianer noch an ihrem Lagerplatz
liegen, und ich bin sicher, daß Zambo gleich hier sein wird, um
meinen Brief abzuholen. Hoffentlich kommt er gut an.
P.S. Je mehr ich darüber nachdenke, desto verzweifelter
erscheint mir unsere Lage. Ich sehe keine Möglichkeit zur
Rückkehr. Wenn es dicht am Rande des Plateaus einen hohen
Baum gäbe, könnten wir vielleicht versuchen, wieder in
umgekehrter Richtung eine Brücke zu schlagen. Aber im
Umkreis von fünfzig Metern gibt es hier keinen. Und unsere
vereinten Kräfte würden nicht ausreichen, einen großen
Stamm herbeizuschleppen. Das Seil ist andererseits viel zu
kurz, als daß wir daran absteigen könnten. Unsere Lage ist
hoffnungslos – schrecklich und hoffnungslos!
#10
Die wunderbarsten Dinge erlebt
§
Wir haben die wunderlichsten Dinge erlebt und erleben sie
noch ständig. Alles Papier, das ich bei mir habe, besteht aus
fünf alten Notizblöcken und einer Menge Zettel. Ich habe nur
diesen einen Bleistift, aber solange ich die Hände bewegen
kann, will ich fortfahren, unsere Erlebnisse und Eindrücke
aufzuzeichnen. Da wir die einzigen Zeugen dieser
Geschehnisse sind, halte ich es für äußerst wichtig, alles
niederzuschreiben, ehe jenes Geschick, das beständig drohend
über uns hängt, uns ereilt. Ob Zambo eines Tages diese Briefe
zum Fluß bringen wird, ob ich selbst durch irgendein Wunder
sie mitnehmen kann, ob später einmal ein mutiger Forscher
unseren Spuren folgt und dieses Bündel Papiere findet – ich
weiß es nicht. Auf alle Fälle bin ich überzeugt davon, daß diese
Aufzeichnungen nicht verloren gehen werden.
§
Am ersten Morgen unserer Verbannung ereignete sich etwas,
was wenig dazu geeignet war, meine Begeisterung über das
Umland zu erhöhen. Als ich kurz nach
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